Interview mit Dr. Michel Haller

Michel Haller, Leiter Forschung SPF und Teamleiter Energiesysteme am Institut für Solartechnik SPF an der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil, zu den Herausforderungen und Lösungsansätzen in der Energieversorgung.

Michel Haller hat an der ETH Zürich Umweltnaturwissenschaften studiert und später an der TU Graz im Bereich Maschinenbau doktoriert.

Interview mit Dr. Michel Haller:
OST, Rapperswil
Wer sind Sie?

Ein Mensch, eines dieser zweibeinigen Individuen, die für eine kurze Zeit auf einem blau-grünen Planeten durch das Weltall rasen und sich dann wieder verabschieden, um anderen Individuen Platz zu machen. Manchen ist es egal, wie der Planet aussieht, wenn sie mal gehen müssen. Mir nicht.

Besitzen Sie ein Auto? Wenn ja, ein Elektro-Auto?

Unser erstes Auto haben wir uns zugelegt, ein paar Jahre nachdem unser zweites Kind zur Welt gekommen ist, da war ich bereits 36 Jahre alt. Es war mit Erdgas betrieben. Das war damals die umweltfreundlichste Variante. Als dieses Auto altershalber ausser Betrieb ging, konnten wir uns noch kein Elektroauto leisten. Die Technik war damals auch noch nicht so weit ausgereift. Deshalb sind wir nun als Übergangslösung für drei Jahre einen alten Benziner gefahren. Ende Monat satteln wir um auf ein neues Elektroauto. Ein Zweitauto haben wir nicht, und das Elektroauto wird tagsüber meist zu Hause stehen, denn ich und meine Frau pendeln mit dem ÖV zur Arbeit.

Sie wohnen in einem Haus mit einer PV-Anlage. Ist dieses Auto gross genug, um als kurzfristiger Speicher für den Tag-Nachtausgleich des Stromnetzes zu dienen – so wie es Jürg Grossen und die Automobilindustrie propagieren?

Ja sicher, dieses Elektroauto verfügt über 70 kWh Stromspeicher. Für den Tag-Nacht-Ausgleich bräuchten wir höchstens 5-10 kWh. Auch wenn wir nur die Hälfte der Speicherkapazität freigeben für diese Funktion, ist das längstens genug. Unser Auto könnte auch bereits bidirektional genutzt werden, d.h. man kann die Batterie vom Haus aus sowohl laden als auch entladen. Dennoch gibt es da noch ein Problem: die Ladestationen, die so etwas können, sind momentan noch viel zu teuer. Da müssen die Anbieter noch runter mit den Preisen, wenn sie nicht auf ihren bidirektionalen Ladestationen sitzen bleiben wollen.

Möchte man somit einen Beitrag zur Lösung des Energieproblems leisten, dann sollte man besser heute als morgen ein E-Auto kaufen?

In der Annahme, damit ein Benzin- oder Dieselauto zu ersetzen: Ja, ganz bestimmt. Jedes Gramm Erdöl, das wir nicht verbrennen, ist ein Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels. Natürlich haben auch Elektroautos und ihre Batterien negative Auswirkungen, die sind aber deutlich geringer als jene der fossilen Energieträger. Noch besser als ein Elektroauto ist es aber, ganz auf ein eigenes Auto zu verzichten, wenn man dazu in der Lage ist. Auch darüber besteht kein Zweifel.

Mit dem Elektroauto löse man also nicht nur das Problem der CO2-Emissionen aus dem Personenverkehr, sondern auch gleich noch das Speicherproblem der Erneuerbaren?

Ganz so einfach ist es nicht. Um den zunehmenden Strombedarf zu decken, bedingt durch die Umstellung der Gebäudebeheizung auf Wärmepumpen und der Mobilität auf Elektrofahrzeuge, also jeweils auf Strom, braucht es zusätzliche Erzeugungskapazitäten. PV-Anlagen auf den Dächern sind in der Schweiz die präferierte Variante der Stromerzeugung für die Zukunft, und zugleich die mit dem grössten ungenutzten Potenzial. Dadurch entstehen aber zunächst zwei Speicherprobleme, nicht nur eines. Das eine Problem ist kurzfristiger Natur und hat einen Speicherzyklus, der einer Sinusschwingung über 24 Stunden (Tag/Nacht) nahekommt. Das andere ist längerfristig und hat eine Schwingung von 365 Tagen (Sommer/Winter). Das erste Problem können wir mit Elektroautos lösen: Wir müssen am Tag dezentrale Produktionsspitzen aus der Photovoltaik abfangen und in die Nacht speichern. Wir glätten sozusagen Produktion und Verbrauch kurzfristig. Wir können mit der Batterie von Elektroautos auch mal eine Schlechtwetterperiode von ein paar Tagen überbrücken. Aber Überschüsse vom Sommer in den Winter zu transferieren, wird uns mit dieser Technik nicht gelingen. Dafür reichen die Kapazitäten nicht, und dafür sind Batterien zu teuer in den Anschaffungskosten.

Aber gerade die Luft-/Wasser-Wärmepumpen benötigen mit abnehmender Temperatur zunehmend Strom. Bei sehr kalten Temperaturen kommt der Elektroheizstab möglicherweise zum Einsatz, d.h. manche Wärmepumpenheizungen funktionieren dann als Elektroheizungen. Woher nehmen wir dann diesen fehlenden Winterstrom?

Zum einen rechne ich damit, dass sich der Trend der letzten Jahre, als der Anteil der Luft-Wärmepumpen gegenüber den Erdsonden-Wärmepumpen immer höher wurde, wieder umkehren wird: Sobald die Elektrizitätswerke den Winterstrom höher bepreisen als den Sommerstrom – und einige haben bereits damit begonnen – werden die Hausbesitzer nochmals neu berechnen, ob mittelfristig die Luft-Wärmepumpe tatsächlich günstiger ist als eine Erdsondenanlage. Meist dürfte das Gegenteil der Fall sein, wenn man die Betriebskosten mitrechnet, und die Rechnung mit realistischen Winterstrompreisen macht, welche auch der Verknappung dieses Gutes gerecht werden. Es gibt sowohl hier als auch beim Gebäudepark insgesamt noch sehr viel Einsparpotenzial. Als kostengünstige saisonale Speicherlösung haben wir derzeit nur die Speicherseen in den Alpen realisiert. Die aktuellen Kapazitäten reichen da jedoch bei weitem nicht aus, weshalb wir unbedingt dort wo Potenzial vorhanden ist und die Auswirkungen auf Natur und Umwelt am geringsten sind zusätzliche Speicherseen bauen sollten.

Und da wiederum regt sich grosser Widerstand bei manchen Naturschützern wie auch bei Parteien wie der SVP, die immerhin 30% der Bevölkerung repräsentieren.
Heinrich Huber erwähnt in seinem
Interview in der Dezember-Ausgabe des «SSREI Monthly», dass Lüftungen den Energiebedarf eines Gebäudes dank der Wärmerückgewinnung erheblich senken können. Zudem lässt sich mit Heizverhalten und kleinen technischen Massnahmen wie Entlüften von Heizkörpern und richtiger Einstellung von Thermostaten viel Energie einsparen. Müsste man in Bern nicht viel mehr auf diese dezentralen Lösungen setzen? Man könnte sich den Ausbau einiger Stauseen und grossflächigen PV- und Windanlagen in den Alpen eventuell ersparen. Der Bedarf im Winter würde reduziert und somit auch weniger Überschussproduktion im Sommer notwendig.

Wir müssen prinzipiell alles Verfügbare in die Waagschale werfen, um die CO2-Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren. Dazu gehören natürlich auch die Gebäude-Optimierungen. Dies ist auch in Bern angekommen und gehört sehr wohl zu den Strategien des Bundesamtes für Energie. Optimierungen und Einsparungen sind sicher kostengünstiger und umweltschonender als der Bau von saisonalen Speichern. Diese Einsparungen werden und sollen einen wichtigen Beitrag leisten, sie werden das Problem aber allein nicht lösen können. Doch es gibt auch andere technische Lösungen für die Langzeitspeicherung, die allenfalls auf weniger Widerstand stossen als neue Speicherseen. Wir in Rapperswil forschen zum Beispiel an Metall-Redox-Prozessen: Ein Metalloxid wird im Sommer zum elementaren Metall reduziert – zentral und industriell – danach wird es verteilt als Energieträger zur dezentralen Produktion von Strom und Wärme im Winter. Dies geschieht, indem das Metall wieder oxidiert wird. Bereits technologisch weiter fortgeschritten und deutlich kostengünstiger ist jedoch die saisonale Speicherung von Wärme in Erdbeckenspeichern, Erdsonden oder Aquiferen. Dies ist vor allem für Fernwärmenetzbetreiber interessant und wird auch in der Schweiz von Energieversorgern wie ewb (Bern) oder SIG (Genf) bereits als mögliche Lösung evaluiert und vorangetrieben. Gewiss muss man die ganze Palette an Lösungsmöglichkeiten in Betracht ziehen.

Das heisst, es gibt griffbereite Lösungen. Woran scheitert ihre Umsetzung?

Oft am Marktpreis, konkret am zu tiefen Preis für fossile Energieträger und auch für die Ressource Holz. Wenn ich mit Holz für 5 Rp/kWh Wärme produzieren kann, dann ist es ökonomisch schwierig, diesen tiefen Preis zu unterbieten. Selbst wenn ich im Sommer viel Holz einsparen und in den Winter verlagern könnte, besteht ökonomisch wenig Interesse, dies zu tun, solange der Holzpreis nicht steigt. Dasselbe gilt natürlich für Heizöl und Erdgas, die wir nicht nur verlagern, sondern ganz überflüssig machen möchten.

Und auch an der Politik? Wir können doch die Gebäudeeigentümer nicht via Energiegesetz zur Abkehr von fossilen Energieträgern und der Installation von PV-Anlagen zwingen, gleichzeitig aber keine funktionstüchtige Gesamtlösung anbieten.

Diese Gesamtlösung müssen wir – und werden wir – hinkriegen. Aber der energetische Umbau muss finanziert werden, wenn nötig halt über staatliche Umverteilung. Mit der CO2-Lenkungsabgabe hätte man hier ein wirkungsvolles Instrument in der Hand – verursachergerecht und marktwirtschaftlich effizient. Der Ukraine-Krieg hat eindrücklich vor Augen geführt, welchen Einfluss die Marktpreise auf die Investitionen haben. So haben die Verwerfungen an den Energiemärkten zu einem eigentlichen Boom von Wärmepumpen und Photovoltaik geführt. Man muss mit geschickter Lenkung die nachhaltigen Lösungen attraktiv machen, indem man die nicht nachhaltigen unattraktiv macht. Dies sollten wir selber übernehmen, und nicht zuwarten bis uns hohe Energiepreise von Despoten in anderen Ländern aufgezwungen werden.

Doch die Schweizer Bevölkerung hat den CO2-Lenkungsabgaben an der Urne eine Abfuhr erteilt.

Ein Eigentor sondergleichen. Die Alternativen zu CO2-Lenkungsabgaben sind Verbote oder Subventionen, welche über Steuergelder finanziert werden und deutlich weniger effizient sind. Durch das Nein zur Lenkungsabgabe wurden wir nun in diese anderen Richtungen losgeschickt. Ich glaube nicht, dass das von den Initianten des Referendums beabsichtigt war. Inzwischen scheint jedoch auch die Schweizer Bevölkerung die Notwendigkeit und die Vorteile von Lenkungsabgaben erkannt zu haben. Natürlich muss die soziale Gerechtigkeit berücksichtigt werden; aber dieses Problem kann mit Ausgleichsmassnahmen gelöst werden. Grundsätzlich gibt es keine fairere und effektivere Lösung als jene, welche auf dem Verursacherprinzip basiert.

Kommen wir zurück auf das Anfangsthema – das E-Auto als Speicher. Wir machen damit ein grosses Problem, nämlich die Mobilität, zum Teil der Lösung. Doch nicht nur der zunehmende Verkehr und der damit verbundene Ausbau des Strassennetzes ist problematisch – vom Staustress gar nicht zu reden –sondern auch die Batterien der E-Autos. Woher nehmen wir die Ressourcen dafür? Wer löst die Umweltprobleme im Zusammenhang mit dem Abbau der damit benötigten Metalle? Müssen wir denn das Thema nicht ganzheitlich angehen, d.h. neue Siedlungsstrukturen schaffen, die Mobilität neu denken, das Verhalten grundsätzlich anpassen?

Absolut einverstanden. Der Raumplanung kommt beim energetischen Umbau des Gebäudeparks gewiss eine bedeutende Rolle zu. Raum- und Energieplanung müssen stärker Hand-in-Hand gehen. Dazu haben wir von der AG Wärmespeicher des Forums Energiespeicher Schweiz bereits vor einem Jahr ein Positionspapier erstellt. Verhaltensänderungen sind jedoch nicht einfach zu erreichen. Dies bringt mich wiederum zurück zu den finanziellen Anreizen: Alles, was dem Portemonnaie weh tut, versteht der Mensch. Deshalb sind Lenkungsabgaben letztendlich auch effizienter als Subventionen. Zudem müssen wir uns auch die Frage stellen, ob Steuerabzügen für Pendler sinnvoll sind. Damit fördert der Staat, dass die Menschen weiter weg vom Arbeitsort wohnen als sie es sonst tun würden. Er fördert mehr Mobilität, mehr Fahrzeugkilometer, Stau und Emissionen. Dies obwohl wir wissen, dass die Mobilität für 40% der Klimaemissionen verantwortlich ist, und wir gleichzeitig die Reduktion von Treibhausgasen fordern und fördern. Aus meiner Sicht sollten wir nicht nur die richtigen Anreize setzen, sondern auch falsche Anreize vermeiden.

Herzlichen Dank, Herr Haller, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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