Interview mit Heinrich Huber

Heinrich Huber, Dozent für Gebäudetechnik am Institut für Gebäudetechnik und Energie an der Hochschule Luzern (HSLU), zur Relevanz und den Potenzialen von Lüftungssystemen.

Heinrich Huber hat Maschinenbau- und HLKS-Ingenieur FH studiert. Nach 13 Jahren Praxis in Industrie und Planung war er gut 26 Jahre an der HSLU und der FHNW tätig. Ab 2015 hat er das Labor und die Prüfstelle Gebäudetechnik an der HSLU geleitet. Seit August 2022 arbeitet er mit einem Teilpensum in der Lehre und in F&E-Projekten mit. Heinrich Huber engagiert sich seit über 30 Jahren im Gebiet Wohnungslüftung. Hier ist er auch als Fachbuchautor tätig. Zudem arbeitet er im nationalen und europäischen Normenbereich mit.

Interview mit Heinrich Huber:
Hochschule Luzern (HSLU)

Wer sind Sie?

Ich bin Gebäudetechnik-Ingenieur und Dozent an der HSLU. Mein fachlicher Schwerpunkt liegt im Bereich Lüftung, insbesondere Wohnungslüftung. Hier setze ich mich dafür ein, dass eine gute Raumluftqualität mit energieeffizienten Lösungen erreicht wird.

Herr Huber, in Fachkreisen werden Sie Lüftungspapst genannt. Was hat Sie dazu motiviert, seit den Anfängen von Minergie, als das Lüftungsthema in der Schweiz eingeführt wurde, sich unerschütterlich dafür einzusetzen? Was kann die Lüftung zur Klimawende beitragen?

Zu Beginn der Energie- und Klimadiskussion ging es darum, den Energiebedarf zu senken. Hierfür benötigt man dichte Gebäudehüllen, welche aus hygienischer und bauphysikalischer Sicht eine kontrollierte Lufterneuerung erfordern. Dank der Wärmerückgewinnung konnte man zusätzlich den Heizwärmebedarf reduzieren.

Später sind Gesundheit und Wohlbefinden (Stichwort Wohngifte) sowie Komfort immer wichtiger geworden. Auch diese Aspekte erfordern ein qualifiziertes Lüftungskonzeptes, wie es die SIA 180 fordert.

Aktuell gewinnt die Frage nach der Spitzendeckung an Brisanz.

Was verstehen Sie genau unter dem letztgenannten Argument?

Das Problem der heutzutage propagierten Gebäudekonzepte, nämlich die Kombination von Wärmepumpe mit PV-Anlagen, ist in unserer Klimazone die Spitzendeckung im Winter. Die Wärmepumpe benötigt im Winter am meisten Strom, also dann, wenn die PV-Anlage am wenigsten zu liefern vermag. Im Sommer entsteht eine Überproduktion an Strom und im Winter ein Mangel. Etwa 30% der Kapazität müsste vom Sommer in den Winter verlagert werden. Hierzu braucht es beispielsweise chemische Speicher (x to Gas), welche mit grossen Umwandlungsverlusten verbunden sind. Pumpspeicherwerke – mit denen übrigens auch erhebliche Verluste einhergehen – können nur kurzfristig ausgleichen.

Es braucht also Lösungen, wo die benötigte Wärme zum richtigen Zeitpunkt, d.h. bei tiefen Aussentemperaturen, und mit einer möglichst geringen Belastung des Elektrizitätsnetzes vor Ort bereitgestellt wird, also dezentrale Lösungen. Und da bietet eben die Lüftung dank ihrer Wärmerückgewinnung grosse Vorteile: Die zurückgewonnene Energie steigt mit sinkender Aussentempetratur an und die elektrische Aufnahmeleistung beschränkt sich dabei auf die relativ geringe Ventilatorleistung. Beispielsweise kann eine effiziente Lüftungsanlage bei einer Aussentemperatur von -10 °C pro Kilowattstunde (kWh) Stromverbrauch rund 25 kWh Heizwärme zurückgewinnen. Im Vergleich dazu liegt die Leistungszahl einer guten Luft/Wasser-Wärmepumpe bei diesen Bedingungen bei etwa 2,5, Erdsonden-Wärmepumpen erreichen hier noch rund 4. Eine Lüftung kann aber eine Wärmepumpe nicht ersetzen, sondern nur ergänzen und damit die Effizienz des gesamten Systems verbessern. Um auf den Beginn dieser Ausführungen zurückzukommen: Der Bedarf für eine saisonale Energieumlagerung wird damit reduziert.

Lüftungen sind aber nicht überall beliebt, weshalb es schwierig sein dürfte, diese Lösung zu propagieren. Woran liegt das?

Es gibt einfach untaugliche Lösungen auf dem Markt – vermeintlich günstige Systeme mit einem schlechten Gesamtwirkungsgrad. Die Norm SIA 382/5 gibt eine klare Anleitung, wie Lüftungen zu planen und installieren sind, damit sie gut und effizient funktionieren. Zudem müssen die Lüftungen korrekt gewartet werden und auch hierfür gibt es Normen. Schliesslich müssen die Bewohnenden in ihrem Verhalten angeleitet werden. Wenn alle ihre Verantwortung wahrnehmen – Bauherrschaft, Betreibende, Nutzende – dann wird eine gute Raumluftqualität mit einer hohen Energieeffizienz erreicht.

Woran liegt es, dass diese Qualität der Lüftungen im Zusammenhang mit der Klimawende und der verzweifelten Suche nach Speichermöglichkeiten bisher nicht thematisiert wurde?

Das Bewusstsein ist zu wenig verbreitet. Es werden immer noch Energie- aber keine Leistungsnachweise gefordert. Zudem wird die Energie im Sommer, in der Übergangszeit und im Winter gleich bewertet – was an sich falsch ist.

Schliesslich herrscht die Meinung, dass in den Wohnungen die Fenster zu oft geöffnet werden und damit die ganze Wirkung der Lüftung verpufft. Wie eine aktuelle Studie der Fachhochschule OST1 zeigt, ist das in der Übergangszeit zwar der Fall; je tiefer Aussentemperatur sind, desto mehr sind sie aber geschlossen. Das heisst, die Wärmerückgewinnung kommt gerade dann zum Tragen, wenn sie am effektivsten ist, vorausgesetzt, es ist der richtige Wärmetauscher installiert.

Was ist zu tun, damit sich das ändert?

Die Energienachweise müssen die Leistung und nicht nur den Energiebedarf und die Energieträger berücksichtigen. Zudem müssen die Gebäudestandards hier eine Lenkungsfunktion wahrnehmen und keine Kompromisse eingehen. Dass der SSREI eine Lüftung nach SIA 382/5 für die Bestnote fordert, setzt ein wichtiges Zeichen. Zudem braucht es Kommunikation, Schulung aller Akteure und Umsetzungshilfen.

Herzlichen Dank, Herr Huber, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

 

1 Igor Bosshard-Mojic et al.: VenTSol – Erfassung des Benutzerverhaltens bezüglich Lüftung, Raumtemperatur und Verschattung in Abhängigkeit des Aussenklimas. OST – Ostschweizer Fachhochschule, Rapperswil, 2022

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