Interview mit Barbara Buser

Barbara Buser, Gründerin und Partnerin von in situ, im Gespräch über graue Energie und Kreislaufwirtschaft in der Immobilienwirtschaft.

Barbara Buser, diplomierte Architektin ETH, ist die Gründerin der baubüro in situ ag, welches sie zusammen mit weiteren PartnerInnen führt. Sie gilt als Pionierin der Kreislaufwirtschaft im Bereich Bauen und Immobilien, wo sie diverse Projekte initiiert und auch umgesetzt hat und wofür sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde. Der Holcim Global Gold Award for Sustainable Construction für das Gebäude «K.118» in Winterthur an der Architektur Biennale in Venedig ist nur ein prominentes Beispiel. Frau Buser ist zudem Gastdozentin an der ETH Zürich.

Interview mit Barbara Buser:
baubüro in situ ag, Basel und Zürich

Wer sind Sie?

Ich bin ausgebildete Architektin, habe viel gebaut und mich dabei auf Umnutzungsprojekte spezialisiert. Bauen und Nachhaltigkeit ist mir ein grosses Anliegen und ich setze mich in zahlreichen Initiativen und Projekten dafür ein.

Die ganze Welt reist nach Europa, um die eindrücklichen Bauten, die bis ins Mittelalter zurückreichen, zu bewundern. Heute erachten wir die graue Energie nach 60 Jahren als abgeschrieben und geben damit den Freipass zum Abriss. Was sagen Sie dazu?

Das Abschreiben auf 60 Jahre ist eine rein ökonomische Konvention und hatte bisher nichts mit der grauen Energie zu tun. Ein Haus, welches geldwertmässig abgeschrieben ist, wird daher oft aus Renditeüberlegungen abgerissen. Aus Sicht des Ressourcenverbrauchs ist dies jedoch eine Katastrophe! Ersatzneubauten sind nur dann gerechtfertigt, wenn die Bausubstanz sehr schlecht und die Möglichkeit einer baulichen Verdichtung beim bestehenden Gebäude limitiert sind.

Sinnvoll wäre es wohl, wenn zumindest die Bauteile, wenn möglich, wiederverwendet würden…

Korrekt. Es gilt die klare Hierarchie: Erhalten – Wiederverwenden – Recyclen. Leider liegt bei uns der Fokus auf Recycling, d.h. auf der End-of-Pipe-Lösung.

Was ist der Grund dafür?

Konsequente Wiederverwendung ist schlichtweg aufwendiger. Die Bauteile müssen sortiert, aufbereitet und allenfalls angepasst werden. Mit useagain.ch beispielsweise gäbe es eine entsprechende Börse, welche die Verfügbarkeit von Bauteilen dokumentiert und dadurch die Kreislaufwirtschaft unterstützt. Diese ist jedoch noch zu wenig populär und wird zu wenig breit genutzt. Für einen effizienten Markt müssten die nötigen Strukturen auf- und ausgebaut werden.

Wie müssten diese Strukturen aussehen?

Eine Bauteilbörse allein reicht nicht. Hersteller von hochwertigen, wiederverwendbaren Bauteilen müssten Kreislaufstrukturen für ihre Produkte aufbauen – eine Rücknahmepflicht mit vorgezogener Entsorgungsgebühr, wie wir es aus der Elektronikindustrie kennen, würde dabei sicherlich helfen.

Ist die Sensibilität hierfür einfach noch zu gering?

Spätestens mit den aktuellen Verwerfungen an den Energiemärkten werden wir zu begreifen beginnen, was graue Energie ist. Alles wird teurer werden, weil jedes Produkt für seine Herstellung Energie benötigt. Eingepreist werden sollten aber zusätzlich auch die Lebenszykluskosten. Preise sollten nicht nur das Angebot und die Nachfrage im Hier und Jetzt reflektieren, sondern die Dauerhaftigkeit und die Entsorgungskosten miteinbeziehen.

Die graue Energie ist in der Energiestrategie 2050 kein Thema – mit der Konsequenz, dass alle Anstrengungen einseitig auf die Einsparung von Betriebsenergie hinauslaufen – und dadurch allenfalls sogar Ersatzneubau provoziert wird.

Es ist unbestritten, dass der Bedarf an Betriebsenergie ein wesentlicher Aspekt ist. Aber ja, das Bewusstsein für graue Energie muss erst noch geschaffen werden. Mit der Aufstockung des K.118 in Winterthur, mit gebrauchten statt neuen Bauteilen, haben wir vergleichsweise 500 Tonnen CO2 eingespart, was äquivalent ist mit dem Betriebsenergiebedarf des ganzen Gebäudes über die nächsten 60 Jahre!

Die Baubranche erwartet weiteres Wachstum aufgrund der demografischen Entwicklung (Überalterung, Migration, Flächenbedarf). Wird der Bedarf an Wohnraum ohne Neubau zu decken sein?

So wie wir das Verkehrsproblem nicht lösen, indem wir immer neue Strassen bauen, wird auch der unüberlegte Ausbau von Wohnkapazitäten nicht zielführend sein. Der bekannte Architekt und Stadtplaner Daniel Fuhrhop hat beispielsweise berechnet, dass in Deutschland durch Umverteilung und höhere Nutzungsdichte – so wie es in der Schweiz einige vorbildliche Wohnbaugenossenschaften handhaben – bis zu 100‘000 Wohnungen pro Jahr verfügbar gemacht werden könnten.

Das ist eine organisatorische Herausforderung und bedingt ein grundsätzliches Umdenken in der Gesellschaft, denn die Menschen müssen ja auch bereit sein, Wohnraum aufzugeben.

Ohne Umdenken und Verhaltensänderung werden wir die Energiekrise nicht bewältigen können. Doch wie bereits angesprochen, wird der Markt hier seinen Beitrag leisten – aufgrund der Energie- und Rohstoffknappheit werden die Materialien schlicht und einfach teurer werden. Und dann haben wir noch das Bauland, das aufgrund des Raumplanungsgesetzes je länger je knapper wird. Es stehen kaum mehr freie Kapazitäten an guten Lagen zur Verfügung. Das alles wird das Wohnen verteuern und uns zwingen, enger zusammenzurücken. Auf der baulichen Seite lautet die Devise: Verdichten mit wiederverwendetem Baumaterial. Anders kommen wir nicht ans Ziel.

Herzlichen Dank, Frau Buser, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

Exkurs: Graue Energie

Graue Energie ist die für die Gewinnung und Herstellung von Materialien, die Lagerung, den Transport, sowie die Verarbeitung von Bauteilen benötigte Energie. Berücksichtigt werden auch alle Vorprodukte sowie der Energieeinsatz aller angewandten Produktions- und Verarbeitungsprozesse.

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