Netto-Null-Ziel bei Immobilienanlagen auf Kurs?

Eine Analyse der im Geschäftsjahr 2022 von institutionellen Immobilieninvestoren publizierten ESG-Kennzahlen zeigt, wo die Branche steht, was Vergleiche so schwierig macht und wieso das Netto-Null-Ziel wegen falscher Anreize bei der Messung der ESG-Performance zu scheitern droht.

Die Analyse von knapp 150 Geschäfts- bzw. Nachhaltigkeitsberichten institutioneller Immobilieninvestoren offenbart den deutlichen Einfluss des Anlegerdrucks auf die Nachhaltigkeitsberichterstattung.

Unterschiedliche Reifegrade des ESG-Reportings im institutionellen Investorenuniversum

Während deutlich über 80% der untersuchten Immobilienfonds und Immobiliengesellschaften Kennzahlen zur Energieintensität und zur Intensität der Treibhausgasemissionen publizieren, sind es bei den berücksichtigten Pensionskassen lediglich ein Viertel (Energieintensität) bzw. knapp die Hälfte (Intensität der Treibhausgasemissionen). Bei den Anlagestiftungen veröffentlichen immerhin knapp drei von vier diese Umwelt-KPIs. Obwohl das Reporting der Umweltkennzahlen für Anlagestiftungen im Gegensatz zu Immobilienfonds nicht verpflichtend ist, zeigt sich anhand der grossmehrheitlichen Publikationsanzahl jedoch, dass der anlegerseitige Druck greift. Zur gleichen Erkenntnis gelangt man beim Blick auf Immobiliengesellschaften und Pensionskassen. Erstere stehen als kotierte Anlagen stark im Fokus von Investoren, welche ein umfassendes ESG-Reporting nicht nur erhoffen, sondern erwarten. Im Gegensatz dazu ist der Handlungsdruck auf Pensionskassen ungemein tiefer: der vom Schweizerischen Pensionskassenverband ASIP im Dezember 2022 veröffentlichte ESG-Reporting-Standard für Pensionskassen hat rein empfehlenden Charakter.

Vergleichbarkeit keine Priorität

Im Sinne der Vergleichbarkeit zusätzlich unglücklich ist, dass die ASIP sich nicht explizit an den von der AMAS definierten Umweltkennzahlen sowie Vorgaben zu deren Erhebung orientiert. Hier wäre eine einheitliche Vorgehensweise im Sinne einer zukünftigen Vereinheitlichung der Erhebung von umweltrelevanten Daten wünschenswert gewesen. Grosse Transparenzbestrebungen scheinen aber aktuell noch keine Priorität zu geniessen, wie sich an den Publikationszahlen zum Abdeckungsgrad der erhobenen Energieverbrauchsdaten ablesen lässt. Während knapp 70% der Immobilienfonds den Abdeckungsgrad veröffentlichen (spätestens ab Geschäftsjahr 2024 Pflicht), nimmt der entsprechende Anteil am Reporting bei den Anlagestiftungen (58%) und den Immobiliengesellschaften (37%) rapide ab. Bei den Pensionskassen publizieren gerade noch 4% diese Kennzahl.

Vergleich der im Geschäftsjahr 2022 veröffentlichten Umweltkennzahlen

Ein Vergleich der Wohnportfolios zeigt, dass die Grenzwerte der Energieintensität im Durchschnitt erreicht werden, wenn wie im Fall der Immobilienfonds teils auch nur knapp. Anders sieht es bei der Analyse der Intensität der Treibhausgasemissionen aus: sowohl Immobilienfonds als auch Anlagestiftungen mit Wohnportfolios überschreiten den entsprechenden Grenzwert von 20.2 kg CO2e/m2 p.a.. Wohnportfolios von Anlagestiftungen zeigen eine Überschreitung von durchschnittlich knapp 4%, während das Delta bei Wohn-Immobilienfonds bereits fast 10% beträgt. Nicht berücksichtigt wurde hierbei, dass auch Wohnportfolios geringe Anteile an kommerziell genutzten Liegenschaften beinhalten können. Die Energieintensität von allen berücksichtigten direkten Immobilienanlagen (Immobilienfonds, Anlagestiftungen und Immobiliengesellschaften) mit gemischt genutzten Portfolios liegt im Durchschnitt unter den Grenzwerten, teils sogar deutlich. Ein umgekehrtes Bild besteht bei der Intensität der Treibhausgasemissionen, welche mit Ausnahme von Immobiliengesellschaften durchschnittlich teils über 10% über den Grenzwerten liegen. Generell fällt auf, dass es ungeachtet der Nutzung sehr grosse Unterschiede zwischen den jeweiligen höchsten und tiefsten Intensitätskennzahlen gibt.

Fossil beheizt aber energetisch effizient?

Wie kann man diese Erkenntnisse nun interpretieren? Lebt die Schweiz in energetisch generell effizienten Gebäuden, welche aber noch zu oft fossil beheizt werden? Dafür spricht die durchgehend bessere Performance der betrachteten Portfolios bei der ESG-Kennzahl Energieintensität im Vergleich zur Intensität der Treibhausgasemissionen. Gemäss Zahlen des Bundesamts für Statistik wurden 2022 immer noch knapp 60% aller Wohngebäude mit fossilen Energiequellen beheizt, trotz eines starken Anstiegs der von Wärmepumpen beheizten Gebäuden auf knapp 20%.

Eingeschränkte Vergleichbarkeit

Wichtig zu betonen ist, dass bei diesen Vergleichen gänzlich ausser Acht bleibt, wie «alt» die jeweiligen Immobilienportfolios sind und welche Investitionen für zukünftige ESG-Massnahmen eingeplant sind. Im Gegensatz zu den Umweltkennzahlen zum Status Quo sind diese Informationen grösstenteils nicht öffentlich oder nur teilweise zugänglich. Dabei wären genau diese Informationen wichtig, um einen ganzheitlichen Vergleich zu ermöglichen. Ein tendenziell älterer Gebäudepark würde die Schlussfolgerung nahelegen, dass der Aufwand für die Implementierung von nachhaltigen Massnahmen höher ist als bei neueren Liegenschaften.

Falsche Anreize bei Messung der ESG-Performance

Sollten wir Anlagestiftungen nun zu ihrem absolut gesehen besseren Abschneiden gratulieren und Immobilienfonds zum Nachsitzen verdonnern? Trotz besserer Performance auf Seiten der publizierten Umweltkennzahlen bei Anlagestiftungen lässt sich dies pauschal nicht behaupten. Entscheidend sind einerseits ein relativer Vergleich von Jahr zu Jahr, um Fortschritte zu verfolgen und andererseits eine Einordnung in den Gesamtkontext des Gebäudeparks. Ist es lobenswert, sich als Investor das Leben einfacher zu machen und nur noch Liegenschaften neueren Baujahrs zu erwerben, welche die Nachhaltigkeitskriterien bereits erfüllen? So können zwar gute ESG-Kennzahlen publiziert werden, dem bestehenden Gebäudepark (und damit dem Klima) hilft das aber nicht. Investitionen in den Bestand sind ebenso wichtig. Der Fokus auf aktuelle Energie- und Umweltkennzahlen ohne Portfoliokontext (Liegenschaftsalter, Summe der geplanten Investitionsvolumen für ESG-Massnahmen) trägt zur relativen Unattraktivität älterer Bestandsliegenschaften für institutionelle Investoren bei. Es droht ein fehlgeleiteter Anreiz zur Erfüllung der eigenen (kurzfristigen) E-Performance, bei welchem die Klimaziele langfristig unter die Räder kommen. Ein breiterer Ansatz zur Messung der Nachhaltigkeitsperformance unter Einbezug der grundlegenden Daten der Bestandsliegenschaften, der aktuellen Performance sowie der zukünftig eingeplanten Massnahmen ist wünschenswert und nötig, um Vergleichbarkeit zu gewährleisten und um zu vermeiden, dass Investitionen in aktuell nicht nachhaltige Liegenschaften verunmöglicht werden. Die aktuell vorherrschende Fokussierung auf die Emissionen im Betrieb der Liegenschaften lässt ausserdem das Thema graue Energie aussen vor. Ob die höhere energetische Effizienz von Neubauten im Vergleich zu sanierten Bestandsliegenschaften die neu verbaute graue Energie über den Lebenszyklus aufwiegt, lässt sich mangels Daten nicht beantworten, kann aber durchaus in Frage gestellt werden.

Netto-Null-Ziel nicht zu erreichen bei Vernachlässigung des bestehenden Gebäudeparks

Was vielfach vergessen geht: in die Berechnung der jährlichen Grenzwerte fliesst der gesamte bestehende Liegenschaftspark mit ein. Der Absenkpfad ist also kein statisches Gebilde, sondern bildet das gesamte Restemissionsguthaben zur Erfüllung der Pariser Klimaziele ab. Ein Überschiessen der Grenzwerte heute führt morgen zu einem steileren Absenkpfad, sprich zu tieferen Grenzwerten. Falls derzeit nicht nachhaltige Gebäude somit als Paria behandelt werden, werden die Klimaziele langfristig gar nicht erreichbar sein. Oder überspitzt formuliert: der Egoismus von heute sabotiert die Ziele von morgen.

Jährliches Monitoring der ESG-Kennzahlen

Die Schwierigkeiten im Vergleich der absoluten Zahlen kommen hervor und es bleibt festzuhalten, dass die Datengrundlage für eine ganzheitliche Einordung der Nachhaltigkeitsperformance nach wie vor ungenügend ist. Die Analyse der ESG-Kennzahlen von KPMG bringt zum ersten Mal die publizierten Kennzahlen einer Vielzahl von institutionellen Immobilieninvestoren zusammen und soll in den kommenden Jahren weitergeführt werden.

Weitere Informationen zum Thema, interaktive Grafiken zur Auswertung sowie Details zur Methodik finden Sie hier


Autor: Eric Delé, Senior Manager, Real Estate Advisory, KPMG AG

Vorheriger Beitrag
Unsere Dienstleister stellen sich vor – Serie, Teil 4
Nächster Beitrag
SQS als Zertifizierungsstelle der SSREI-Verifikation