Roland Lötscher, CEO der Mobility Genossenschaft, im Gespräch mit SSREI über die Zukunft der Mobilität.
Roland Lötscher ist seit 2019 CEO der Mobility Genossenschaft. Zuvor bekleidete er diverse Führungsfunktionen in den Bereichen Marketing, Business Development und Strategieentwicklung. Das Carsharing voranzutreiben, ist seine Aufgabe. Dabei sieht er die Zukunft elektrisch, digital und intelligent.
Interview mit Roland Lötscher:
CEO, Mobility Genossenschaft
Wer sind Sie?
Ich habe nach meinem Betriebswirtschaftsstudium den grössten Teil meiner Karriere in der Telekom-Branche verbracht und bin es daher gewohnt, in einem Umfeld zu agieren, das von Veränderung geprägt ist. Diese Mentalität möchte ich nun auf die Carsharing-Branche übertragen – nur kommt hier der Druck nicht nur vom Markt, sondern auch von der natürlichen Umwelt.
Ich bin verheiratet, Vater dreier Kinder und verbringe meine Freizeit gerne mit der Familie in den Bergen.
Der Bundesrat will 5.3 Mrd. CHF in den Ausbau des Nationalstrassen-Netzes investieren. Brauchen wir diesen Ausbau der Infrastruktur? Oder müssten wir nicht die Mobilität grundsätzlich neu denken und radikal reduzieren?
Ein Mobility-Auto ersetzt elf Privatwagen. In der Mobilität der Zukunft besitzt man idealerweise kein eigenes Auto mehr; man hat es bei Bedarf zur Verfügung. Gelingt uns also diese Transformation, weg vom Privatauto und hin zur geteilten Mobilität, dann bräuchten wir einen Ausbau in solchem Masse sicherlich nicht.
Die Herausforderung ist demnach, diese Entwicklung schnell voranzutreiben, sowie die Gesellschaft zum Umdenken und Handeln zu motivieren. Wo kann hier angesetzt werden?
Das ist richtig: Carsharing ist eine Branche, deren Nachfrage vom Angebot induziert wird. Wenn wir die Autos also am richtigen Ort platzieren können – und hierfür haben wir Erfahrungswerte – dann ergibt sich die Nachfrage von selbst. Am besten funktionieren Standorte mit grossem Umsteigepotenzial auf den öffentlichen Verkehr, das Velo etc., sogenannte Hubs. Sie sorgen dafür, dass der Umstieg mühelos vonstattengehen kann. Die Problematik besteht allerdings darin, an die passenden Parkplätze heranzukommen. Hier liegt ein Engpass vor.
Und trotzdem: Autofahrer sind sich gewohnt, das Fahrzeug immer und überall zur Verfügung zu haben. Diesem Bedürfnis gerecht zu werden, scheint anspruchsvoll.
Zugegeben, wir sind mit dem heutigen Carsharing-Modell noch sehr statisch unterwegs. Der Kunde muss aktiv die Fahrzeuge aufsuchen. Mit neuen Mobilitätskonzepten wird man sich künftig mittels entsprechender Apps jederzeit über Bedarf und Angebot verständigen. Fahrzeuge werden also «on demand» übergeben oder man kann von Mitfahrgelegenheiten Gebrauch machen. Damit kommen wir dem Anspruch der ultimativen Verfügbarkeit von Transportmitteln erheblich näher.
Hinzu kommt hier der öffentliche Verkehr, der einen wesentlichen Teil der Mobilität absorbiert. Carsharing steht zwischen motorisiertem Individualverkehr (MIV) und öffentlichem Verkehr. Das Privatauto wird – vor allem in ländlichen Gebieten – kurzfristig nicht wegzudenken sein. Dennoch muss eine Verschiebung vom MIV hin zu anderen Angeboten stattfinden. Diese Entwicklung voranzutreiben, ist unser Auftrag und so auch in unseren Statuten verankert.
Die Mobilität der Zukunft kommt einem Teil-Umbau der Gesellschaft gleich. Diese Transformation zu bewerkstelligen, bedingt Kommunikation, politische Führung und schliesslich finanzielle Mittel. Wie gut sind Sie in Bern vernetzt?
Wir sind uns bewusst, dass Regierung und Parlament diesen Prozess mittragen und die richtigen Rahmenbedingungen bereitstellen müssen. Deshalb haben wir den aktiven Austausch in den letzten Jahren vorangetrieben und stehen nun noch stärker mit Städten und Kantonen im Diskurs.
Um die Anliegen unserer Branche besser zu vertreten und den Sharing-Gedanken noch breiter an die Öffentlichkeit zu tragen, haben sich die Anbieter 2021 im Verband «Swiss Alliance for Collaborative Mobility (CHACOMO)» zusammengeschlossen. Damit können wir mit einer gemeinsamen Stimme auftreten und zielgerichteter nach aussen kommunizieren.
Der Bund nimmt eine wichtige Funktion bei der Meinungsbildung ein. Es braucht aber auch entsprechende Kräfte aus der Gesellschaft. Wer übernimmt da den Lead?
Die junge Generation. Ihre Werte helfen uns, denn das Auto ist für viele von ihnen nicht mehr primär ein Statussymbol; sie sind vielmehr zweckorientiert. Um die Jungen abholen zu können, müssen wir aber «state of the art»-IT-Lösungen anbieten, ansonsten davon kaum Gebrauch gemacht werden würde. Es erfüllt mich daher mit Stolz, dass wir mit unserer neuen Applikation soeben den Award für die beste Schweizer App 2023 erhalten haben.
Wir unternehmen aber auch anderweitige Massnahmen, um Nähe zu dieser Generation zu schaffen, etwa mit unserem Spezialangebot für alle unter 28. Sie fahren zu den besten Konditionen – wie unsere Genossenschafter:innen. Darüber hinaus haben wir ein Lehrfahrangebot. Damit stellen wir Autos spezifisch für Lehrfahrende zur Verfügung. Wir müssen diese Generation abholen, bevor sie auf privaten Autobesitz eingespurt ist.
Welche Rolle hat die öffentliche Hand generell in Sachen Mobilität der Zukunft?
In erster Linie würde ich die Städte und Gemeinden nennen, welche positive Rahmenbedingungen fürs Carsharing schaffen können. Dies tun sie, indem sie den Ausbau der benötigten Infrastruktur wie bspw. Parkplätze und Elektroladestationen in ihrer Strategie verankern (Parkplätze für Carsharing, Elektroladestationen). Als Arbeitgeber sind Behörden im Weiteren auch potenzielle Kunden und können ihre Belegschaft für das Thema sensibilisieren. Die Zahl der Erwerbstätigen in der öffentlichen Verwaltung beträgt über 200’000 Personen. Das Potenzial ist also riesig.
Und was können privatwirtschaftliche Unternehmen zur Transformation beitragen?
Wenn Private und Firmen auf dieses Modell umstellen, dann erreicht man eine maximale Auslastung der Fahrzeuge. Denn der Dienstwagen steht an den Wochenenden still, während die Privatautos gerade dann am meisten gebraucht werden. Carsharing ist ein perfekt komplementäres Konzept und hilft Unternehmen, ihre Mobilität nachhaltiger zu gestalten.
Wir werden in der Schweiz in Zukunft massiv verdichten müssen, wollen wir den Bedarf an Wohnraum decken. Diese Verdichtung eröffnet die Chance, daraus Areale oder ganze Quartiere entstehen zu lassen. Wie eng sind Sie mit den Immobilieneigentümern verknüpft?
Unser klares Ziel ist es, bereits bei der strategischen Planung in solche Projekte involviert zu werden und das Mobilitätskonzept aktiv mitzugestalten. Dabei werden auch neue Lösungsansätze, zusammen mit der Eigentümerschaft, in «Feldversuchen» erprobt. Unser Credo lautet, gemeinsam die Mobilität der Zukunft zu gestalten, dies nachhaltig und innovativ. Hierzu gehören neuartige Konzepte, Technologien, aber eben auch konkrete Lösungen am Objekt.
Welche Rolle spielt die E-Mobilität?
Gemäss unserer Strategie stellen wir alle Autos bis 2030 auf elektrischen Antrieb um. Dies weckt neue Risiken, aber auch Chancen. Einerseits müssen wir die damit anfallenden höheren Kosten der (noch) teureren E-Fahrzeuge und der nötigen Ladeinfrastruktur absorbieren. Hinzukommt, dass mit dem Bedarf an Elektroladestationen die bereits vorherrschende Knappheit bei den Parkplätzen weiter verschärft wird. Andererseits eröffnet die Flottenelektrifizierung auch neue Möglichkeiten. So engagieren wir uns zum Beispiel mit «V2X Suisse», dem grössten inländischen Pilotprojekt mit 50 E-Autos, auch im Bereich des bi-direktionalen Ladens. Hierbei geht es darum, den Strombedarf optimal zu koordinieren und die Rolle des Autos als Stromspeicher respektive Stromlieferant zu testen. Damit kommt dem Fahrzeug eine völlig neue, zusätzliche Funktion zu. In der Schweiz sind wir hier einer der Vorreiter in diesem Zukunftsthema.
Infolge des Home Office werden die Autos zudem weniger genutzt und relativ gesehen noch teurer. Könnte auch diese Entwicklung dem Carsharing zugutekommen?
Eine Überschlagsrechnung reicht, um festzustellen, dass Carsharing aus finanzieller Sicht in aller Regel attraktiver ist als der Individualbesitz. Aber natürlich: Home Office kann dieses Bewusstsein verstärken. Der Hebel wird aber nicht das Home Office sein, sondern das Angebot. Wenn das Individuum mit Sharing keinen Nachteil mehr hat und zudem günstiger fährt, dann wird es diese Lösung wählen.