Hanspeter Ischi baute die Schweizer Akkreditierungsstelle SAS auf, welche dem Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) unterstellt ist, und leitete diese 20 Jahre lang. Mit uns spricht er über Standards und Zertifizierung. Heute ist er Inhaber und Leiter der Beratungsfirma Ischi Consulting und erbringt nun entsprechende Dienstleistungen in Asien und Afrika im Auftrag von lokalen Regierungen.
Interview mit Hanspeter Ischi:
Experte für Akkreditierung und Zertifizierung
Wer sind Sie?
Ich habe mich nach meiner Ausbildung als Chemiker in meinem Berufsleben mehrheitlich mit Normen und deren Umsetzung bzw. Überwachung beschäftigt. Gerade in der heutigen Zeit des ausgeprägten Individualismus tönt das furchtbar langweilig, ist aber ausserordentlich spannend und vielseitig. Mehr noch: Das Thema ist essenziell für das Funktionieren unserer Wirtschaft und den globalen Handel.
Privat bin ich ein naturverbundener Mensch, der sich in allen Jahreszeiten gerne in den Bergen aufhält.
Sie sind ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet der Zertifizierung und Akkreditierung – Begriffe, mit denen die Immobilienbranche wenig vertraut sein dürfte. Können Sie uns diese als Einstieg in knappen Worten erläutern?
Zertifizierung ist das Geschäft der Konformitätsbewertungsstellen (KBS) wie beispielsweise Laboratorien, Inspektions- oder Zertifizierungsstellen. Deren Aufgabe ist es, die korrekte Anwendung von Normen bzw. Standards zu prüfen und sicherzustellen. Akkreditierungsstellen wiederum überwachen die KBS. In Europa sind die Akkreditierungsstellen Behörden oder werden von diesen mandatiert.
Welche Bewandtnis haben Zertifizierung und Akkreditierung im Bereich nachhaltiger Immobilien?
Wie in anderen Branchen gibt es auch im Immobilienbereich verschiedene Standards für Produktqualität. Einige sind sogenannte Firmenstandards, also Eigentum einer Organisation und nicht zwingend unter Einbezug der interessierten Kreise entwickelt, wie dies bei einer Normenorganisation der Fall ist. Eine Zertifizierung macht aber aus meiner Sicht nur dann Sinn, wenn der Standard die Interessen aller Anwender, also der sogenannten interessierten Kreise berücksichtigt. Damit ein Standard für die Zertifizierung geeignet ist, sollte er zudem klar nachvollziehbare und messbare Anforderungen an ein Produkt definieren.
Zertifizierungsstellen arbeiten unabhängig und unparteilich nach klar definierten Regeln. Erfüllt ein Antragsteller die Anforderungen der Norm, so kann die Zertifizierungsstelle ein Zertifikat ausstellen.
Die nächste Stufe wäre dann die Akkreditierung. Akkreditierungsstellen überprüfen im Auftrage der Behörden, ob Zertifizierungsstellen unparteilich und kompetent arbeiten.
Was würde denn durch Akkreditierungsstellen konkret überwacht bzw. geprüft?
Akkreditierungsstellen prüfen im Prinzip, ob der Standard nach den Regeln von ISO/IEC 17067:2013 erarbeitet wurde, und ob die Zertifizierungsstellen ihre Dienstleistung gemäss ISO/IEC 17065:2012 anbieten.
Eine mangelnde Überprüfung durch Akkreditierungsstellen enthebt die Anbieter jedoch nicht von der Verantwortung, sich an diese Vorgaben zu halten. Aber wo eben die Kontrolle fehlt, besteht die Gefahr, dass Regeln bewusst oder unbewusst missachtet werden.
Was regeln diese Standards?
Zusammengefasst beinhaltet die ISO/IEC 17067:2013 Anforderungen an Form und Inhalt der Standards sowie den Umgang des Standard-Eigners mit den Zertifizierungsstellen. Zudem regelt sie, dass ein Standard öffentlich zugänglich respektive einsehbar sein muss. Die ISO/IEC 17065:2012 hingegen beschreibt die Anforderungen an die Zertifizierungsstellen, um sicherzustellen, dass diese ihre Kontrollfunktion kompetent, unparteilich und unabhängig ausüben. Die ISO (International Organization for Standardization) ist die weltweit grösste Normenorganisation.
Kürzlich ist der Leitfaden «Standards für Bestandsgebäude» erschienen. Was fällt Ihnen dabei auf?
Auffällig ist, dass es viele Standards für nachhaltige Immobilien bzw. nachhaltiges Bauen gibt. Gefordert sind dadurch insbesondere auch Bauherren und Investoren, die sich für ihre Investitionsentscheide an Standards orientieren, denn sie müssen diese ja kennen und verstehen. Je mehr Standards existieren, die Ähnliches definieren, umso mehr leidet die Vergleichbarkeit, Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Markt. Die Frage ist also, wie viele solcher Standards sich die Branche leisten will respektive kann.
Weshalb gibt es keinen ISO-Standard für nachhaltiges Bauen?
Beim Bauen gelten lokale Normen und Gesetze, was mit der unterschiedlichen Baukultur zusammenhängt. Vergleicht man die diversen Standards, so überschneiden sie sich zwar thematisch, aber in ihrer Ausprägung sind sie eben doch recht unterschiedlich. Somit dürften die Nachhaltigkeitsstandards im Immobilienbereich länderspezifisch bleiben.
Nun gibt es jedoch nicht nur länderspezifische Standards, sondern in der Schweiz gar mehrere mit gleicher thematischer Ausrichtung. Ist das überhaupt zulässig?
Standards bewegen sich üblicherweise im nicht regulierten Bereich. Somit ist die Antwort ja. Gerade auf dem Gebiet der Nachhaltigkeit gibt es über alle Branchen hinweg eine reiche Fülle an vergleichbaren Standards. Nehmen Sie den Bereich Food als Beispiel: Bio, Knospe, Delinat, Demeter und viele mehr. Dasselbe Bild zeigt sich auch bei der Food Safety: FSSC 22000, IFS, BRC. Dazu kommen noch alle privaten Standards der Retailer. Sich konkurrierende Standards sind somit ein bekanntes Phänomen. Ob dies dem Markt dient, ist eine andere Frage. Standards sollten Klärung im Markt bringen; überbordet das Angebot, so wird das Gegenteil erreicht.
Tatsächlich klagt auch der Immobilienmarkt über einen «Label-Salat». Was kann hier die Orientierung erleichtern?
Man kommt leider nicht darum herum, die Standards zu prüfen und zu entscheiden, welcher am besten zur eigenen Strategie passt, und ob sie regelkonform sind.
Allerdings, Ordnungshüter für Baunormen in der Schweiz ist der SIA (Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein). Diese hat denn auch mit der Norm «SIA 112/1 Nachhaltiges Bauen – Hochbau» bereits 2004 ein entsprechendes Werk geschaffen, welches mit dem SNBS Hochbau fürs Bauen und eben SSREI für den Bestand wiederum in praxistaugliche Bewertungsinstrumente überführt wurde. Diese Norm hat gewiss hohe Akzeptanz und Gewicht, weil es sich dabei um ein offizielles Regelwerk handelt.
Immer wieder werden Aussagekraft und Zuverlässigkeit von Gebäudelabels und -Benchmarks in Frage gestellt. Wie kann dies sichergestellt werden?
Hier kommen eben die Zertifizierungsstellen ins Spiel. Standards garantieren unter anderem Mindestanforderungen an die Sicherheit und Qualität von Produkten und Dienstleistungen – aber nur solange sie korrekt angewendet werden. Die Zertifizierungsstellen üben daher eine wichtige vertrauensbildende Kontrollfunktion aus.
Welche Rolle haben die Berater in diesem Gefüge?
Die Berater unterstützen die Anwender, in diesem Fall die Bauherren und Immobilienbesitzer. Ihre Dienstleistungspalette umfasst Einzelaktivitäten bis hin zum Managen von ganzen Projekten und/oder Immobilienportfolios. Im Zusammenhang mit der Zertifizierung unterstützen Berater ihre Kunden in deren Vorbereitung, d.h. bei der Datenerhebung, der Nachweisführung sowie bei der Selbstbewertung der Standarderfüllung. Zwischen Berater und Zertifizierungsstellen gibt es jedoch eine «Chinese Wall», das ist eisernes Gesetz in der Zertifizierungswelt. Sie sind zwei verschiedene Akteure und nehmen unterschiedliche Rollen im Markt wahr.
Heute geschieht vieles daten-basiert. Die Maschine nimmt die menschliche Arbeit ab. Werden dadurch Kontrollen von unabhängigen Dritten (Zertifizierungsstellen) obsolet?
Nein, denn die Maschine verarbeitet nur jene Daten, welche eingegeben werden. Im hier besprochenen Bereich geht es um Informationen über die Gebäudequalität, aber auch um Verbrauchsdaten. Diese können falsch sein und sollten im Sinne eines ordentlichen Prozesses überprüft und insbesondere beurteilt werden. Unabhängige Kontrollen (Zertifizierungen) sind zur Qualitätssicherung daher eigentlich unerlässlich.