Interview mit Simon Berger

Simon Berger, Präsident der Konferenz der Schweizer Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger (KSD), zum Thema «Denkmalpflege und Nachhaltigkeit».
Wer sind Sie?

Ich habe Kunst- und Architekturgeschichte mit Schwerpunkt Denkmalpflege und Monumentenmanagement an der Universität Bern studiert. Der Eidgenössische Fachausweis in Immobilienbewertung und ein CAS in erneuerbaren Energien haben meine Studien inzwischen als Weiterbildung ergänzt.
Ich war nach dem Studium im Inventar der Kantonalen Denkmalpflege Luzern beschäftigt und anschliessend als Leiter der Bauhütte im UNESCO Welterbe Kloster St. Johann in Müstair tätig. Seit 2014 leite ich die Fachstelle «Denkmalpflege» des Kantons Graubünden. 2024 wurde ich als Mitglied der Eidgenössischen Kommission für Kulturgüterschutz gewählt. Seit 2025 bin ich Präsident der KSD (Konferenz der Schweizer Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger). Dabei handelt es sich um einen privaten Verein, in dem sämtliche Leitende der Denkmalpflegefachstellen in den Kantonen sowie der grossen Städte vertreten sind.

Am 12. März 2025 wäre der Architekturkritiker Lucius Burckhardt 100 Jahre alt geworden. Er hat verhindert, dass Basel 1949 autogerecht gemacht worden ist – ein Projekt, dem 120 mittelalterliche Altstadthäuser zum Opfer gefallen wären. In Zürich gab es vergleichbare Pläne. Seit wann gibt es in der Schweiz einen Denkmalschutz, der solche Projekte von Gesetzes wegen verhindern könnte?

Die Denkmalpflege als Aufgabe kommt wohl mit den grossen Reichs- und Verwaltungsgebieten auf. Bereits im alten Rom gab es Regelungen in Richtung Denkmalpflege. In der Schweiz beginnen die Anfänge einer institutionalisierten Denkmalpflege mit der Gründung des Bundesstaates 1848. Zuerst nur auf Bundesebene und über private Vereinigungen geregelt, führten auch die Kantone nach und nach gesetzliche Rahmenbedingungen ein. Schliesslich wurde 1999 mit dem Artikel 78 der Natur- und Heimatschutz in die Bundesverfassung aufgenommen. Die Umsetzung der Aufgabe hat der Bund an die Kantone delegiert, wo das Anliegen dann gesetzlich verankert wurde. Der Auftrag des Bundes lautet, unser kulturelles Erbe zu erhalten. Die Denkmalpflegefachstellen erfüllen also einen gesetzlichen Auftrag.

Was gab den Anlass zu dieser Institutionalisierung?

Bauvorhaben, mittels welchen systematisch alte und wertvolle Bausubstanz zerstört wurde. Während Anfang des 20. Jahrhunderts eher neue architektonische Trends die Auslöser waren, verursachte in den 70er-Jahren die Hochkonjunktur und das Bevölkerungswachstum einen unsorgfältigen Umgang mit der baukulturellen Substanz. Denn Wohnraum und Infrastruktur musste schnell zur Verfügung gestellt werden. Dies rief sensibilisierte Teile der Bevölkerung auf den Plan. 1975 wurde das Denkmalschutzjahr ausgerufen, was dann eben in der Folge auch zur stärkeren Verankerung dieses gesetzlich definierten Schutzauftrags führte.

Wo stünden wir heute, wenn es den Denkmalschutz nicht gäbe?

Zum Glück müssen wir darüber nicht nachdenken, denn die Geschichte hat gezeigt, dass die Aspekte des Denkmalschutzes tief in der Gesellschaft verankert sind und bei grossen Umbrüchen – seien sie sozial, technisch oder sogar kriegerisch motiviert – Prozesse ablaufen, welche die Erhaltung von Substanz und die Errungenschaften aus der Vergangenheit hochhalten.

Und heute sind wir froh darum! Doch in der Zwischenzeit sind neue gesellschaftliche Probleme aufgepoppt, wo der Denkmalschutz oft als Widersacher dargestellt wird. So wird vermehrt der Vorwurf erhoben, er verhindere die bauliche Verdichtung und verschärfe damit die Wohnungsknappheit.

Verdichtung ist bei denkmalgeschützten Gebäuden nur schwer möglich. Das ist so und damit wird ein gewisses Potenzial an zusätzlichem Wohnraum unter Umständen verhindert. Aber es geht um die Güterabwägung.
Die Welt ist komplex. Wenn neue Probleme aufkommen, bedeutet dies nicht, dass man den bekannten und mittlerweile umsichtig gemanagten Herausforderungen keine Beachtung mehr schenken soll. Zudem kann man Gesetze nicht einfach missachten. Gute Lösungen sind das Resultat von Güterabwägungen, welche die Bedürfnisse aller Interessengruppen beachten.

Wie hoch ist der effektive Anteil an denkmalgeschützten Gebäuden am gesamten Schweizer Gebäudebestand?

Eben gerade ist die Denkmalstatistik 2022 des Bundesamtes für Statistik BfS publiziert worden. Diese belegt, dass der durchschnittliche Anteil in den Kantonen bei etwa 5% liegt. Zudem befinden sich die Gebäude mehrheitlich in der Kernzone, wo zusätzlich der Ortsbildschutz wirkt.
Die Anzahl der schützenswerten oder erfassten Gebäude ist viel umfangreicher, doch dies zeigt nur das Potenzial für einen Schutz auf und hat keine unmittelbare Rechtsverbindlichkeit.

Sind Ihnen trotzdem Projekte bekannt, wo der Denkmalschutz neuen Wohnraum verhindert hat und eine allfällige Lockerung angebracht gewesen wäre?

Die Frage ist, ob wir das Flair aus verschiedenen Epochen in unseren Ortschaften erhalten oder nicht. Mit einer unüberlegten Lockerung der Regeln würden wir die Büchse der Pandora öffnen.
Zudem wird neuer Wohnraum im grossen Stil mit Ersatzneubauten in Wohngebieten ausserhalb der Kernzonen geschaffen. Diese werden nicht vom Denkmalschutz verhindert, sondern eher von der betroffenen Mieterschaft respektive seiner Nachbarschaft. Kluge Lösungen könnte der Denkmalschutz auch unterstützen. Es geht uns, wie gesagt, im Kern aber immer um den Erhalt der Substanz und der baukulturellen Errungenschaften. Mieterschutz oder ähnliches gehört nicht zu unserem gesetzlichen Auftrag.

Denkmalschutz ist ein ultimativer Schutz des Bestands vor dem Abbruch. Aus Sicht der Umwelt müsste daher genau das Gegenteil einer Lockerung des Denkmalschutzes passieren, könnte er doch vor vorzeitigem Abbruch oder unnötigem Ersatzneubau bewahren.

Unter Berücksichtigung der längst abgeschriebenen grauen Energie dank des hohen Alters der Gebäude und der regionalen Materialherkunft müsste man den Denkmalschutz effektiv verschärfen. Allerdings wäre es sinnvoller, wenn wieder vermehrt von dieser historischen Bautradition gelernt werden könnte, nämlich der Einsatz von regionalem und natürlichem Baumaterial, das Wiederverwenden von Baumaterial, der effiziente Umgang damit. Das sind alles Dinge, die man von historischen Bauten lernen kann. Zum Glück bewegt sich die Architektur von heute in kleinen Schritten wieder in diese Richtung.

Der Denkmalschutz wird oft als Gegenspieler der Umwelt dargestellt, weil er angeblich jede energetische Optimierung verhindert. Pflichten Sie dem bei?

Eine vollständige energetische Optimierung beinhaltet Fenster-, Dach-, Keller- und Fassadensanierung. Auch bei denkmalgeschützten Objekten ist viel möglich. Im Einzelfall ist zu ermitteln, welche Massnahme getroffen werden soll. Es gibt Beispiele, die aufzeigen, dass energetische Sanierung und Denkmalschutz zusammen funktionieren, wie zum Beispiel beim Bundeshaus, das ein Minergie-Gebäude ist.
Dass man bei einem Bestandsgebäude keine Neubauqualität hinkriegt, ist aus bautechnischer Sicht naheliegend. Aber nebst der Gebäudequalität gibt es noch die betrieblichen Aspekte und das Verhalten der Bewohnenden, welche wesentlich zum Energiebedarf beitragen. Beim Bestand müsste der Fokus vermehrt auf diese Themen gelenkt werden. Leider wollen wir das in einer Wohlstandsgesellschaft im Moment nicht hören.

Kommen wir noch auf andere Instrumente zum Schutz von Kulturgütern zu sprechen, zunächst auf ISOS (Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung), dem Sündenbock schlechthin. Gibt es da Handlungsbedarf?

Das ISOS steht im Moment im Fokus der Medien und wird auch politisch von vielen Seiten angegriffen. Zu Unrecht, wie ich meine. Das ISOS ist ein hervorragendes Planungsinstrument, welches gratis Grundlagen für eine sorgfältige Ortsbildanalyse und den Umgang mit dem Ortsbild liefert. Leider wurde in den letzten Jahren, auch durch Einsprachen und Gerichtsprozesse, das ISOS etwas in eine Verhinderungsecke gedrängt. Die Verantwortlichen für das ISOS haben darum einen Handlungsbedarf bestätigt und breite Gespräche dazu lanciert. Noch dieses Jahr werden Lösungen präsentiert werden.

Und wie sieht’s mit dem Heimatschutz aus?

Die Heimatschutz-Organisationen sind private Vereine, die sich primär die Aufgabe zu eigen gemacht haben, für Baukultur zu sensibilisieren. Dies tun sie mittels Ausstellungen, Schulungen, Anlässen usw. Sie verfügen in den meisten Kantonen zwar über ein Verbandsbeschwerderecht, machen davon aber mässig Gebrauch. So gibt es viel mehr private Einsprachen. Vielfach wird der Heimatschutz und die Denkmalpflege verwechselt. Wir verfolgen auch gemeinsame Ziele. Die Fachstelle der Denkmalpflege operiert aber aus einem Verwaltungskorsett heraus. Dieses Korsett hat der Heimatschutz als Verein nicht.

Denkmalgeschützte Gebäude befinden sich häufig in der Hand von institutionellen Investoren. Sind sie gleichermassen handelbar?

Mir sind keine Statistiken bekannt, aber gewiss ist es so, dass Schutzobjekte den Besitzer eher selten wechseln. Sie werden auch seltener gehandelt. Oft sind es Liebhaberobjekte. Aber die reduzierte Marktaktivität hat gewiss auch mit den vermeintlichen Einschränkungen bei Bauvorhaben zu tun. Wir als Behörde haben nun mal von Gesetzes wegen die Befugnis, in gewisser Weise ins Eigentum des Besitzers einzugreifen. Wichtig ist, dass dies in einvernehmlicher und partnerschaftlicher Weise erfolgt. Und das ist uns ein echtes Anliegen.

Herzlichen Dank, Herr Berger, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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