Interview mit Rahel Nägeli Ganz

Rahel Nägeli Ganz, CTO und Nachhaltigkeitsbeauftragte bei TECTON, im Gespräch mit SSREI über Dächer und deren Beitrag zu einem nachhaltigen und energieeffizienten Gebäude.

Rahel Nägeli Ganz ist seit 2017 bei der TECTON Management AG tätig und Mitglied der Geschäftsleitung.

Interview mit Rahel Nägeli Ganz:
CTO und Nachhaltigkeitsbeauftragte, TECTON Management AG
Wer sind Sie?

Nach meinem Studium in Materialwissenschaft MSC ETH war ich über 10 Jahre bei einem führenden Baustoffproduzenten tätig und habe mich bereits intensive mit der Abdichtung von Hochbauten befasst. Neben meiner beruflichen Tätigkeit als technische Leiterin der TECTON-Gruppe engagiere ich mich in verschiedenen fachlichen Gremien, unter anderem in einer Normenkommission SIA. Ich bin überzeugt, dass wir mit technisch durchdachten Flachdachlösungen die Nachhaltigkeitsaspekte der Verdichtung, der Energieoptimierung und -gewinnung sowie der Lebenskostenbetrachtung von Immobilien unterstützen können.

Könnten Sie in wenigen Worten das Tätigkeitsfeld von TECTON erläutern?

Das Familienunternehmen wird in der 5. Generation geführt und beschäftigt schweizweit 530 Mitarbeitende. Mit 16 regionalen Handwerksbetrieben sind wir nahe am Objekt und am Kunden.

Unter der Prämisse „Menschen bei TECTON machen Bauten dicht“ erstellen, sanieren und unterhalten wir Flachdächer und Steildächer und führen Spenglerarbeiten bei Hochbauten und Tiefbauabdichtungen aus. Ein spezieller Fokus setzen wir auf den Wert- und Substanzerhalt. So begleiten wir „unsere“ Dächer und Arbeiten über ihren gesamten Lebenszyklus.

Das Bevölkerungswachstum und die knappen Baulandreserven zwingen uns zur Verdichtung, welche mehrheitlich durch Aufstockungen erfolgen wird. Flachdächer dürften daher die Steildächer verdrängen. Spüren Sie diese Entwicklung bereits?

Aufstockungen sind effektiv ein probates Mittel gegen die Wohnungsnot. Nur ist diese Lösung aufgrund diverser Einschränkungen wie Baustatik, Denkmal- und Ortsbildschutz nicht flächendeckend umsetzbar. Nach meiner Meinung gibt es gute und schöne Möglichkeiten zur Aufstockung. Die Vertretenden der unterschiedlichen Interessengruppen sollten hier gemeinsam angepasste und lokale Lösungen suchen.

Es gibt aber auch viel ungenutzten Raum in Dachstöcken von Steildächern. In der Nutzbarmachung des Dachraumes liegt allgemein erhebliches Potenzial. Dieser Ausbau ist weniger anfällig auf Einsprachen, weil die äusserlichen Veränderungen weniger einschneidend sind. Der Entscheid hängt von der aktuellen Ausnützung ab. Ortsbilder werden daher auch in Zukunft sowohl von Flach- als auch Steildächern geprägt sein.

Das Dach schützt das Haus und ist ein wesentlicher Faktor für seine Energie-Effizienz. Wird zu diesem Gebäudeteil ausreichend Sorge getragen?

Die Immobilienbranche war in der Vergangenheit auf Neubauten ausgerichtet. Der Bestand wurde vernachlässigt mit dem Resultat, dass 80% der Schweizer Gebäude älter als 40 Jahre und mehrheitlich sanierungsbedürftig sind. Die Qualität der Gebäudehülle, insbesondere aus Sicht der Wärmedämmung, ist oft ungenügend. Täglich wird so Energie verschleudert.

Andererseits haben wir gerade beim Dach in jüngster Vergangenheit technologische Fortschritte erzielt, wovon nun alle zukünftigen Erneuerungen profitieren können. Durch eine optimierte Wärmedämmung können Bauten einfach und ohne Anpassung der gegebenen Konstruktion oder Dachrandhöhen energetisch saniert werden. Entsprechend kann massiv Energie eingespart werden.

Zudem fliesst heute die Lebenszyklusbetrachtung vorgängig in die Überlegung der Verbesserung der Gebäudehülle ein. Eingesetzte Produkte müssen kreislauffähig sein. Die heute im Schweizer Markt verbauten Materialien sind sehr robust und widerstandsfähig und ermöglichen auch dem Flachdach eine Lebensdauer von 35 bis 40 Jahren. Die Bedingung ist aber, dass der Unterhalt und nötige Kleinreparaturen nicht vernachlässigt werden, ansonsten das Dach schnell einmal nur 10 Jahre halten kann. Kittfugen müssen beispielsweise alle 5 bis 8 Jahre erneuert werden. Wird dies nicht gemacht, kann Wasser ins ganze Dachpaket laufen. Wenn Dachwasserabläufe nicht regelmässig gereinigt werden, staut sich das Wasser an und kann Abdichtungsanschlüsse umlaufen oder statische Probleme auslösen. Dies, um nur einige Beispiele zu nennen. Werden die Unterhalts- und Wartungsarbeiten seriös ausgeführt und dokumentiert, dann ist auch die Budgetplanung und somit Kostensicherheit am Ende der Lebensdauer des Daches gesichert.

Flachdächer haben gegenüber den Steildächern den Vorteil, dass sie begrünbar sind.

Das ist richtig. Die Unwetter der letzten Jahre haben gezeigt, wie wichtig es ist, wenn anfallendes Regenwasser zumindest teilweise zurückgehalten und verzögert der öffentlichen Entwässerung zugeführt wird. Ein extensiv begrüntes Flachdach kann, abhängig vom genauen Aufbau, grosse Wassermengen speichern und zurückhalten. Ein Teil des Wassers verdunstet und das Entwässerungssystem wird entlastet. Unter dem Begriff „Schwammstadt“ sind grosse Städte wie Zürich, Basel aber auch St. Gallen daran, Konzepte zu entwickeln, wo das Wasser in der Niederschlagsumgebung gespeichert wird und durch Verdunstung das Mikroklima beeinflusst. In stark überbauten Gebieten muss das Flachdach die entsprechende Schwamm-Funktion übernehmen und kann so die durch den Klimawandel verstärkte Überhitzung im Sommer teilweise ausgleichen.

Im Zusammenhang mit der Begrünung spielt nicht nur der klimatische Ausgleich, sondern auch der Beitrag zur Biodiversität eine Rolle. Sieht sich TECTON somit auch in der Rolle des Landschaftsgärtners wieder?

Das Flachdach muss viele Funktionen erfüllen; deshalb wäre der/die Landschaftsgärtner/in auf dem Dach wahrscheinlich am falschen Ort. Bei Projekten, die speziell auch Anforderungen an die Biodiversität stellen, arbeiten wir jedoch oft mit Gärtnereien zusammen. Die Konzepte zur Förderung der Biodiversität werden von unseren Kunden vorgegeben und müssen auch zwingend in die statische Planung einfliessen. So können unterschiedliche Wuchsarten, Nisthügel, Totholzhaufen und Bienenhäuser auf dem Flachdach die Biodiversität fördern.

Das Dach dient zudem mehr und mehr als Fundament für Photovoltaikanlagen. Wie stehen diese beiden Elemente in Konkurrenz mit der Begrünung. Wie geht man damit um?

Die Schweiz hat mit der Energiestrategie 2050 das ambitionierte Ziel gesetzt, sich bis dahin mit erneuerbaren Energien versorgen zu können. Flachdächer und insbesondere Dächer von Industrie- und Gewerbegebäuden bieten sich mit ihren grossen und zusammenhängenden Flächen für die Energiegewinnung natürlich an.

Für den langfristigen Erfolg ist das Zusammenspiel und insbesondere die Abstimmung der Lebensdauer zwischen dem Dachaufbau und der Photovoltaikanlage entscheidend. Somit stellt sich immer zuerst die Frage: Ist das Dach für eine Photovoltaikanlage tauglich oder was braucht es, um es tauglich zu machen? Die Synchronisation zwischen der noch zu erwartenden Lebensdauer des Daches und der Installation der neuen Solaranlage ist dabei massgebend, genauso wie statische und bauphysikalische Abklärungen.

Ich bin der Meinung, dass sich eine Photovoltaikanlage mit einem Gründach kombinieren lässt und so eine optimale ökologische Nutzung der Dachfläche grundsätzlich möglich ist; dies muss aber technisch richtig gelöst werden. Mit einer Aufständerung der Solaranlage und einer guten Planung bezüglich Entwässerung, Bewuchs und Belegungsdichte ist das Nebeneinander gut möglich. Werden die beiden Systeme nicht aufeinander abgestimmt und beispielsweise auf einem bestehenden begrünten Dach Photovoltaikanlagen ohne Aufständerung verbaut, kommt es unter den Modulen zu einem Treibhauseffekt, und es kann passieren, dass die Pflanzen zwischen den Modulen stark in die Höhe wachsen. Die Module werden verschattet, und es kann nicht mehr die volle Energie gewonnen werden. Der starke Bewuchs kann zudem kaum entfernt werden, da die Flächen unter den Solarmodulen nicht zugänglich sind. So ist niemandem gedient.

Bei intensiven Begrünungen und intensiven Biodiversitätsförderungen, wie vorhin beschrieben, ist ein räumliches Nebeneinander sicher ein guter Kompromiss.

Mit einer guten Abstimmung der verschiedenen Ansprüche gibt es auch zielführende Lösungen.

Dachterrassen waren stets beliebte Aufenthaltsorte und soziale Begegnungszonen in den Städten. Kann das Flachdach eine solche Funktion übernehmen?

Dächer sind gegenüber der Hitze sehr exponiert und haben daher leider aufgrund des Klimawandels an Attraktivität eingebüsst. Man zieht heute die wettergeschützten Balkone in der Regel den Terrassen vor. Der Beitrag des Daches zur Nachhaltigkeit liegt daher vor allem in den oben aufgezeigten Bereichen.

Herzlichen Dank, Frau Nägeli, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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