Thomas Stocker, Klimaphysiker und Leiter der Abteilung Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern, im Gespräch zum CO2-Gesetz, dem Strombedarf von Gebäuden, Klimazielen und E-Mobilität.
Thomas Stocker hat an der ETH Zürich Umweltphysik studiert und 1987 doktoriert. Nach Forschungsaufenthalten in London, Montreal und New York wurde er 1993 Leiter der Abteilung für Klima- und Umweltphysik am Physikalischen Institut der Universität Bern. Von 2008 bis 2015 war Thomas Stocker Co-Vorsitzender der Arbeitsgruppe I des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Der Bericht, der unter seinem Vorsitz im September 2013 von allen Ländern verabschiedet wurde, bildet die wissenschaftliche Grundlage für das Klimaabkommen von Paris. Für seine Arbeiten erhielt Stocker den Dr. Honoris Causa der Universität Versailles und der ETH Zürich, sowie die Hans Oeschger Medaille der European Geosciences Union. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie Leopoldina, der American Association of Arts and Sciences sowie der italienischen Accademia dei Lincei. 2017 wurde ihm der Schweizer Wissenschaftspreis Marcel Benoist verliehen.
Interview mit Prof. Dr. Thomas Stocker:
Universität Bern
Wer sind Sie?
Ich bin Klimaphysiker und leite seit 1993 die Abteilung für Klima- und Umweltphysik an der Universität Bern. Von 2008 bis 2015 leitete ich die Arbeitsgruppe I des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Unser Bericht, verfasst von 250 Wissenschaftler/innen und unter Beteilung von über 1000 Forschenden weltweit, bildet die wissenschaftliche Grundlage für das Klimaabkommen von Paris.
Herr Stocker, die Revision des CO2-Gesetzes wurde im 2020 vom Stimmvolk abgelehnt. Was bedeutet das?
Ein massiver Rückschritt für den Klimaschutz und eine Peinlichkeit für die reiche Schweiz. Aber die Schweiz ist damit nicht fein raus: Erstens – die Klimaerwärmung schreitet voran. Zweitens – die Schweiz hat das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und ist verpflichtet dazu beizutragen, dass die globale Erhitzung deutlich unter 2 Grad, gemessen an der vorindustriellen Zeit, bleibt. Das ursprüngliche Ziel, nämlich 1,5 Grad, werden wir wohl leider verfehlen. In der Schweiz sind wir sogar mehr als andere europäische Länder deutlich über der durchschnittlichen Klimaerwärmung – weil wir ein Binnenland sind und eine rückläufige Schneebedeckung haben.
Mit der Energiestrategie 2050 haben wir die Basis gelegt und mit dem CO2-Gesetz hätten wir die Instrumente zur Umsetzung geschaffen. Die CO2-Lenkungsabgabe, eines der zentralen Elemente des CO2-Gesetzes, wird ja bereits mit der aktuellen Version umgesetzt; man hätte hier lediglich verschärft. Der Krieg in der Ukraine hat uns die Abhängigkeit von unzuverlässigen Partnern bei lebensnotwendigen Produkten und Dienstleistungen vor Augen geführt. Ein Boom für Wärmepumpen wurde ausgelöst, das heisst der Markt hat sehr schnell auf die Verteuerung von Ressourcen reagiert. Ob vom Markt initiiert oder staatlich «angeordnet» (Lenkungsabgaben), dürfte wohl keine Rolle spielen.
Und dies trotz den volatilen Strompreisen und den absehbaren Verwerfungen am Strommarkt, sollen wir die drohende Stromlücke nicht in den Griff bekommen.
Ja, es wird uns aufgrund des zunehmenden Einsatzes in Gebäuden (Wärmepumpen, Lüftungen), bei der Mobilität (E-Mobilität), sowie der gleichzeitigen Abschaltung eines AKWs Strom fehlen. Andererseits zeigt die jüngste ZHAW-Studie, dass das Potenzial an PV-Anlagen in der Schweiz einem AKW entspricht.
Womit aber das Problem der saisonalen Verschiebung nicht gelöst ist.
Korrekt. Moderne Gebäude sind kleine, dezentralisierte Kraftwerke; sie produzieren Strom mittels den Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach. Leider benötigt aber die Wärmepumpe, die nun grossmehrheitlich den Öl- oder Gasbrenner ersetzt, den Strom vor allem im Winter, so dass 30% des eigenproduzierten Stroms vom Sommer auf den Winter verlagert werden muss. Und das geht nur mit Speicherung. Ich bin kein Fan davon, Alpentäler zuzupflastern. Aber Aufstockungen von Speicherseen, die ja bereits existieren, scheinen mir verkraftbare Lösungen. Nebst der Wasserkraft gibt es aber auch verschiedentliche andere technologische Ansätze, an denen intensiv geforscht wird, wie zum Beispiel die Methanisierung. Gaskraftwerke zur Spitzendeckung sind hingegen schlechte Alternativen, da sie nicht CO2-neutral sind.
Was passiert, wenn wir die international vereinbarten Klimaziele nicht erreichen? Wird sich einfach der Meeresspiegel erhöhen und es zu Migrationen (mit all ihren politischen Folgen) kommen? Oder besteht die Gefahr eines eigentlichen Kollapses, weil das Gesamtsystem komplett aus dem Gleichgewicht gerät?
Das Klimaproblem ist letztlich ein vielfältiges Ressourcenproblem: Gemäss einer Studie, an welcher 47 Länder teilgenommen haben, sind 37% der Todesfälle auf übermässige Hitze zurückzuführen (Ressource Gesundheit). Wenn der Meeresspiegel steigt, dann werden Küstengebiete, die von mehreren hundert Millionen Menschen bewohnt werden, überschwemmt (Ressource Land). Der Klimawandel führt nicht nur zur geographischen Verschiebung von Regenzonen, sondern auch zu jahreszeitlichen Veränderungen des Wasserdargebots. Die Folgen sind Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder lange Dürreperioden (Ressource Wasser). Schliesslich beeinträchtigt der Klimawandel auch die Biodiversität und es besteht Unsicherheit, ob die uns gewohnten Gegebenheiten für die nötigen Ernten zur Ernährung der Bevölkerung noch vorhanden sind (Ressource Biodiversität). Es ist also ein komplexes Gesamtsystem, das aus den Fugen zu geraten droht.
Gebäude und Mobilität tragen beide je ca. 30% zum CO2-Ausstoss in der Schweiz bei. Mit der E-Mobilität meint man, die Lösung gefunden zu haben. Können wir mindestens diesbezüglich aufatmen?
Zunächst einmal: Mit der E-Mobilität schaffen wir zum einen den Stau nicht weg, zum anderen benötigen die heute zum Einsatz kommenden Batterien zahlreiche Edelmetalle und Seltene Erden, deren Verfügbarkeit begrenzt ist. Diesem Problem lässt sich mit neuen Entwicklungen, Recycling und Wiederverwertung entgegenwirken. Da liegt noch viel – auch ökonomisches – Potenzial brach.
Wollen wir das Thema Mobilität grundsätzlich lösen, dann müssen wir bei den Siedlungsstrukturen ansetzen – womit wir indirekt wieder bei den Gebäuden wären – aber auch der Art, wie wir unser Leben organisieren. Wir müssen des Weiteren unser «mindset» ändern: Im Vordergrund soll nicht das Auto stehen, d.h. der teure, ressourcenverschwenderische SUV, sondern der Fakt, dass ich zu einem individuell gewählten Zeitpunkt von A nach B gelangen möchte. Mobilität muss sich von Anspruchs-Emotionalität und Prestige befreien.
Herzlichen Dank Herr Stocker, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.