Interview mit Erich Herzog

Erich Herzog, Bereichsleiter Wettbewerb & Regulatorisches und Mitglied der Geschäftsleitung bei economiesuisse zum Thema «Nachhaltigkeitsberichterstattung».
Wer sind Sie?

Ich verfüge über ein Lizentiat in Rechtswissenschaften (lic. iur.) der Universität Zürich, das Rechtsanwaltspatent des Kantons Zürich sowie ein LL.M. der Universität London, College of Queen Mary. Ich war während rund zehn Jahren als Anwalt in zwei führenden Wirtschaftskanzleien in Zürich und Genf und als Senior Legal Counsel bei Sunrise Communications AG tätig. Seit dem 1. Januar 2019 leite ich den Bereich «Wettbewerb und Regulatorisches» bei der economiesuisse und bin in dieser Funktion Mitglied der Geschäftsleitung.

Die WEF-Umfrage hat uns die ernüchternde Erkenntnis gebracht, dass das Thema Nachhaltigkeit in der Wirtschaft nicht mehr zuoberst auf der Agenda steht. Wurde es tatsächlich von Themen wie KI verdrängt oder ist es mittlerweile so stark in den Organisationen verankert, dass freie Kapazitäten bestehen, um sich neuen Herausforderungen zuzuwenden?

Nachhaltigkeit wird nicht von neuen Themen wie Künstlicher Intelligenz verdrängt, sondern bleibt ein zentraler Treiber für die Zukunftsfähigkeit von Unternehmen. Sie umfasst Wirtschaft, Soziales und Ökologie und trägt sowohl zum langfristigen Erfolg als auch zu verantwortungsbewusstem Handeln bei.

KI und andere Technologien sind keine Gegensätze zur Nachhaltigkeit, sondern eröffnen neue Möglichkeiten. So helfen KI-gestützte Analysen, Emissionen präziser zu messen und Ressourcen effizienter zu nutzen. Gemäss dem Bericht 2025 der «Sustainability Software Radar 2025» der Swisscom und Atlantic Adventures, welche die Software für ganzheitliches Nachhaltigkeits- und Carbon-Management systematisch erfasst, gibt es mittlerweile 283 entsprechende Anbieter in der Schweiz (Quelle: NZZ am Sonntag vom 2.3.2025).

In der von Ihnen genannten Trilogie korrelieren vor allem die Aspekte Umwelt und Wirtschaft miteinander. In der Immobilienbranche haben die Bewerter erkannt, dass die Nachhaltigkeit einer der Treiber der langfristigen Werthaltigkeit von Liegenschaften ist. Erkennen Sie dennoch Skepsis seitens der Wirtschaft gegenüber der Nachhaltigkeit?

Skepsis gegenüber Nachhaltigkeit als unternehmerisches Konzept ist nicht angebracht, da sie ein zentraler Erfolgsfaktor für langfristige Wertschöpfung ist. Auch in der Immobilienbranche zeigt sich, dass nachhaltige Liegenschaften an Werthaltigkeit gewinnen. Unternehmen profitieren durch Effizienzsteigerungen, Risikominimierung und neue Marktchancen.

Skepsis hingegen macht sich breit, wenn es ums Thema Berichterstattung im europäischen Wirtschaftsraum geht. Die Rede ist von unnötigem Bürokratismus und Formalismus, der nichts zur Lösung beiträgt, der Wirtschaft jedoch enorme Kosten auferlegt. Ist das ein berechtigter Einwand?

In den letzten Jahren hat die Europäische Union im Rahmen des Green Deals zahlreiche weitreichende Regulierungen zur Nachhaltigkeit eingeführt. Diese Massnahmen zielen darauf ab, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen und umfassen eine Vielzahl von Bereichen wie Energie, Verkehr, Landwirtschaft und mehr. Allerdings zeigt sich, dass einige dieser Regelungen zu weit gehen. Sie verschlingen Geld und binden personelle Ressourcen, welche dann für die produktiven Bereiche in der Wirtschaft fehlen, so auch für die tatsächliche Umsetzung nachhaltiger Projekte.

Eine Umfrage von economiesuisse ergab, dass in der Schweiz jährlich bis zu 1,5 Millionen Seiten an Nachhaltigkeitsberichten erstellt werden – ein Papierstapel, der den Prime Tower überragen würde.

Nun ist aber auch die Finanzberichterstattung ein stark regulierter Bereich, der eine detaillierte Aufarbeitung aller Daten zum Finanzergebnis erfordert, der ein Heer an Personal beschäftigt, ausführliche Offenlegung verlangt und Unsummen an Revisionskosten verschlingt. Im Vergleich dazu sind die Anforderungen an die Nicht-Finanzberichterstattung moderat. Teilen Sie diese Meinung?

Nein, diese Meinung greift zu kurz. Zwar ist die Finanzberichterstattung seit langem ein stark regulierter Bereich, der erhebliche personelle und finanzielle Ressourcen bindet, doch erfüllt sie eine klare Funktion: Sie dient der finanziellen Transparenz, ermöglicht Investoren fundierte Entscheidungen und ist eng mit der Unternehmensführung verknüpft.

Ist denn diese Transparenz bei der Nachhaltigkeit – gerade wegen ihres Bezugs zur Werthaltigkeit – nicht gleichermassen bedeutend?

Grundsätzlich ja. Die Frage ist aber, ob eine Unmenge an Daten tatsächlich zu dieser Transparenz beiträgt. Werden zu viele Datenpunkte abgefragt, besteht das Risiko, den Überblick zu verlieren. Die EU fordert, dass die Datensammlung weit über die eigene Unternehmensgrenze hinausgeht und in die ganze Lieferkette eindringt. Die Absicht ist, über alles, wofür man im weitesten Sinne und in irgendeiner Form verantwortlich sein könnte, Rechenschaft abzugeben. Doch die globalen Lieferketten sind heute derart komplex, dass dieser Anspruch die Marktteilnehmer, insbesondere aber die KMU, überfordert. Es braucht mehr Pragmatismus und es hilft nicht, wenn Bürokratie wichtige Ressourcen der Unternehmen absorbiert.

Nun bewegt sich die Bau- und Immobilienbranche mehrheitlich im lokalen Markt. Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit und Umweltschutz spielen auf der Lieferantenseite, d.h. insbesondere bei der Bauausführung, durchaus eine Rolle. Bereits dieser Nachweis ist eine Herausforderung. Im Fokus der Betrachtung steht jedoch die Gebäudequalität. Kann man auch hier überborden?

Überbordet wird grundsätzlich überall dort, wo sich der Aufwand der Datenerfassung mit dem Nutzen nicht rechtfertigen lässt. Wenn Sie die nachhaltige Qualität Ihrer Gebäude mittels 500 Daten beschreiben, das Portfolio aber effektiv nur mit 50 davon steuern, dann erfassen Sie 450 Daten zu viel. Das heisst, die Wesentlichkeit ist ein wichtiges Grundprinzip des Datenmanagements. Man muss – auf der Datenerfassungs- wie auch Massnahmenseite – dort ansetzen, wo es einen echten Hebel zur Verbesserung gibt.

Wesentlich ist zudem die Vergleichbarkeit der Daten. Wie wichtig ist daher die methodische Kohärenz in der Datenerhebung?

Die Vergleichbarkeit stellt ein zentrales Anliegen dar. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass dies nur durch einen einheitlichen Ansatz erreicht werden kann. Tatsächlich zeigt sich jedoch, dass ein Wettbewerb der Standards die Qualität der am Schluss geltenden Standards erhöht. Gleichzeitig haben diese diversen Standards ein starkes Eigeninteresse daran, untereinander kompatibel zu sein – ähnlich wie wir es aus der Finanzberichterstattung mit Swiss GAAP FER oder IFRS kennen.

Selbstregulierung und branchenweit anerkannte Standards: Das ist der Weg, den die Schweiz aktuell in Sachen nachhaltige Immobilienwirtschaft verfolgt. Ist das der Königsweg?

Grundsätzlich ja. Regulierung kann dort sinnvoll sein, wo hohe Risiken bestehen und Marktmechanismen allein nicht ausreichen, um diese zu steuern. Allerdings wird Regulierung oft weit über diesen Kernbereich hinaus ausgeweitet und greift unnötig in wirtschaftliche Prozesse ein.

Entscheidend ist daher eine differenzierte Betrachtung: Wo Regulierung wirklich notwendig ist, muss sie effizient, verhältnismässig und zielführend sein. Doch wo der Markt eigenständig Lösungen entwickelt, sollte der Staat Zurückhaltung üben – nach dem Prinzip: So viel Markt wie möglich, so viel Regulierung wie nötig.

Es gibt diesen grundlegenden Konflikt zwischen politischer Steuerung und marktwirtschaftlicher Dynamik. Der Wunsch, gesellschaftliche Herausforderungen durch Regulierung zu lösen, ist in der Politik weit verbreitet. Allerdings können Marktkräfte in vielen Bereichen weitgehend ohne Regulierung auskommen, da Transparenz Wettbewerb ermöglicht und dadurch Innovation und Eigenverantwortung zu effizienteren Lösungen führen als staatliche Vorgaben.

Die Schweiz pflegt intensive Wirtschaftsbeziehungen mit der EU und kann sich daher ihrer Gesetzgebung nicht entziehen. Das gilt auch für die Immobilienbranche. Ist daher eine Harmonisierung nicht doch der effizientere Weg als zwei unterschiedliche Rechtssysteme aufrechtzuerhalten?

Es geht nicht primär um eine Harmonisierung, sondern um Kompatibilität. Die Schweiz muss sicherstellen, dass ihr System, mit dem der EU kompatibel ist, um Unternehmen den Zugang zu internationalen Märkten und Investoren zu erleichtern – ohne jedoch blind die formalen und teils übermässig detaillierten Vorgaben der EU zu übernehmen.

Wichtig ist, dass die Schweiz die unterschiedlichen Interessen der hier ansässigen Unternehmen berücksichtigt. Während in der EU stark präsente Konzerne eine Abstimmung mit EU-Regulierungen benötigen, um reibungslos agieren zu können, gilt dies nicht für global tätige Unternehmen. Auch wäre eine 1:1-Übernahme der EU-Vorgaben für viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) – oder in der Immobilienbranche jede Pensionskasse – unverhältnismässig belastend.

Immerhin gibt es einen Lichtblick: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat ein «Kompass-Papier» angekündigt, um der Bürokratie und dem Mikromanagement der EU auf allen Ebenen Einhalt zu gebieten. Könnten solche Entwicklungen wesentlich für die Einstellung der EU-Kritiker gegenüber dem Abkommen Schweiz-EU sein?

Sicherlich wird damit der Vorwurf entkräftet, dass die EU unbeirrt an einem immer weiter ausufernden Regulierungspfad festhält. Die Ankündigung zeigt, dass die EU bereit ist, bestehende Regulierungen zu hinterfragen und sich an ein verändertes geopolitisches Umfeld anzupassen.

Begrüssenswert ist sicherlich, dass der Fokus des «Omnibus-Konzepts» darauf gerichtet ist, KMU zu entlasten. Entscheidend wird sein, ob diese Reformen auch konsequent umgesetzt werden, damit sie mehr sind als lediglich kosmetische Anpassungen.

Sollten sich die EU-Regulierungen tatsächlich in Richtung einer weniger bürokratischen, praxistauglicheren Lösung bewegen, könnte dies auch die Diskussion in der Schweiz über das Abkommen Schweiz-EU beeinflussen. Die Schweiz muss angesichts der Bemühungen zur Deregulierung in der EU darauf achten, nicht durch weitergehende oder unnötig komplexe Regelungen gegenüber der EU ins Hintertreffen zu geraten. Stattdessen sollte sie ein System anstreben, das international kompatibel ist, aber ohne den hohen bürokratischen Ballast, der in der EU zunehmend hinterfragt wird.

Herzlichen Dank, Herr Herzog, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

 

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