Eric Delé, Senior Manager Real Estate Advisory bei KPMG, im Gespräch mit SSREI zum Immobilien-Bewertungsprozess und der Relevanz von Nachhaltigkeitsaspekten.
Interview mit Eric Delé
Senior Manager Real Estate Advisory, KPMG
Wer sind Sie?
Mein Name ist Eric Delé und ich komme ursprünglich aus Luxemburg. Seit Abschluss meines Masterstudiums in Bauingenieurwissenschaften an der ETH vor 10 Jahren bin ich im Real Estate Team der KPMG tätig. Wir bieten eine gesamtheitliche Immobilienberatung für professionelle und institutionelle Investoren an. Konkret geht es dabei um Immobilienbewertungen und -transaktionen in allen Bereichen des Anlagesegmentes sowie um Strategie- und Nachhaltigkeitsberatungen. Ein Bereich umfasst die jährliche Bewertung von kotierten Immobilienfonds, für die ich von der FINMA als Experte akkreditiert bin. Im Weiteren gehören Immobiliengesellschaften, Anlagestiftungen und Pensionskassen aber auch Family Offices und Privatpersonen zu unseren Kunden. Gesamthaft ist das ein jährliches Bewertungsvolumen von rund CHF 30 Mia. in der gesamten Schweiz. In diesem Zusammenhang berate ich Immobilieninvestoren zu Nachhaltigkeitsthemen, insbesondere im Bereich Dekarbonisierung und ESG-Strategie.
Institutionelle Investoren benötigen für ihre Transaktionen eine situative und für die Bestandesliegenschaften eine jährliche Bewertung. Doch wie zuverlässig sind diese ermittelten Werte wirklich?
Der Marktwert einer Liegenschaft ist eine definierte Grösse. Es ist «der geschätzte Betrag, für welchen ein Immobilienvermögen am Bewertungsstichtag zwischen einem verkaufsbereiten Veräusserer und einem kaufbereiten Erwerber unter normalen Umständen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr, also nach angemessenem Vermarktungszeitraum und ohne Zwang, ausgetauscht wird». Es handelt sich in erster Linie also um eine Schätzung, welche per se mit Unsicherheiten behaftet ist. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, diese entweder auf direkt beobachtbare Transaktionspreise abzustützen, was in der Schweiz aber mangels öffentlich verfügbarer transparenter Transaktionsdaten meistens nicht möglich ist. Entsprechend erfolgt die Bewertung über eine Prognose des zukünftig erzielbaren Cashflows der Liegenschaft, welche anschliessend auf einen Stichtag diskontiert wird. Dazu werden Parameter wie Marktmieten und Diskontierungssätze geschätzt. Hier gilt: Je grösser die verfügbare Datengrundlage, desto kleiner die verbleibende Unsicherheit. Eine grösstmögliche Transparenz zu Immobilienkennzahlen ist daher im Interesse der gesamten Immobilienbranche. Die Zuverlässigkeit ist entsprechend in liquiden Märkten um einiges höher als bei Liegenschaften, welche nur selten gehandelt werden.
Steigt das Risiko von Fehleinschätzungen, wenn die Preise über Jahrzehnte nur in eine Richtung zeigen, nämlich nach oben – so wie wir dies in der Schweiz erlebt haben? Dies dürfte im schlechten Fall zu überhöhten Preisen zum Zeitpunkt der Akquisition und im «worst case» zu «Stranded Assets» führen.
Die generelle Herausforderung liegt darin, dass Bewerter sich auf Datengrundlagen aus der Vergangenheit bzw. bestenfalls auf aktuelle Datengrundlagen beziehen und auf Basis dessen eine Zukunftsschätzung vornehmen müssen, da die Prognose ja ausschliesslich auf den zukünftigen Cashflows fusst. Dies ist einfacher, wenn sich der Markt bzw. die Parameter kontinuierlich in eine Richtung – egal ob nach oben oder unten – bewegen. Schwierig wird es, wenn der Markt dreht, insbesondere wenn dies plötzlich durch exogene Faktoren passiert, so wie wir es in den vergangenen Jahren bei einer Zinswende oder auch bei der Covid-19 Pandemie erlebt haben.
Investoren müssen sich bewusst sein, dass dies notgedrungen zu höheren Unsicherheiten führt. Der Bewerter macht ja nicht den Markt, sondern es ist seine Aufgabe, den Markt abzubilden. In diesem Zusammenhang geht auch oft vergessen, dass Wert und Preis nicht das Gleiche sind. Welchen Preis ein einzelner Käufer zu zahlen bereit ist, liegt schlussendlich in seiner eigenen Verantwortung.
Die Bewertungsmethoden basieren auf «tangiblen» Kriterien, das heisst empirisch ermittelten und wenn immer möglich quantifizierten Daten. Lage, Zustand und Ausbaustandard bestimmen bei den Ertragswertmethoden im Wesentlichen den Wert der Liegenschaft. Ist das noch zeitgemäss?
Ein Investor wird seine Einschätzung der Cashflows immer auf tangiblen Kriterien vornehmen; andernfalls sprechen wir von Liebhaberpreisen. Im Diskontierungszinssatz hingegen wird abgebildet, welche Renditeerwartung der Markt an diese geschätzten Cashflows hat, also sprich, wieviel Risiko er diesen beimisst. Dies ist auch im «Red Book Global Standards» von RICS so festgehalten. Aufgabe des Bewerters ist es, den Markt abzubilden, nicht dessen Entwicklungen vorwegzunehmen. Das Vorgehen an sich ist sicher zeitgemäss; die Frage ist eher, ob der Markt künftig zusätzlich zu den oben erwähnten Kriterien weitere Aspekte berücksichtigen wird und inwiefern diese quantifiziert werden können. Hierfür braucht es dann aber wiederum entsprechende Datengrundlagen.
Zu einer ganzheitlichen Betrachtung gehören eben auch die Nachhaltigkeitskriterien. In welchem Masse haben sich diese etabliert?
Im institutionellen Bereich liegt der Fokus momentan klar auf dem Aspekt Energie zur Erfüllung der in den Absenkpfaden definierten Klimaziele. Dies schlägt sich insbesondere in höheren Investitionen auf der Aufwandsseite, für den Wechsel auf nicht-fossile Heizträger sowie energetische Sanierungen der Gebäudehülle, nieder. Die bessere Energieeffizienz führt zu tieferen Betriebskosten, wodurch die Nettoerträge steigen. Einspeisevergütungen von Photovoltaikanlagen können zusätzliche Erträge generieren, welche heute bereits relativ gut abgeschätzt werden können. Schwieriger wird es bereits bei Themen wie Marktmiet- oder Leerstandsentwicklung. Und hier reden wir «nur» von den aktuell laufenden Bestrebungen der Immobilienbranche, die operative Energieperformance der Liegenschaftsportfolios zu verbessern. Im Transaktionsmarkt spielen weitere Nachhaltigkeitsthemen wie graue Energie oder Kreislaufwirtschaft noch kaum eine Rolle, was aber nicht bedeutet, dass diese in der Zukunft nicht an Gewicht gewinnen können.
Was macht die Abbildung dieser Kriterien so schwierig bzw. wieso werden diese nicht berücksichtigt?
Nehmen wir das Beispiel Marktmiete bei Wohnliegenschaften: Werden Mieter bereit sein, für nachhaltige Wohnungen höhere Bruttomieten zu zahlen? Es besteht hierzu per dato schlicht und einfach keine Evidenz, dass dies der Fall ist. Das heisst aber nicht, dass der Markt nicht möglicherweise der Meinung ist, dass nachhaltige Liegenschaften langfristig weniger risikobehaftet sind und daher tiefere Renditen in Kauf nimmt.
Gleiches gilt z.B. für graue Energie: Daten bestehen hierzu bei Bestandesliegenschaften quasi nicht; methodisch würde man dies als Kriterium daher im Diskontierungszinssatz berücksichtigen, falls der Markt als Gesamtes dies einpreisen würde. Das ist aber aktuell nicht der Fall.
Wir stellen aber fest, dass die notwendigen Investitionen zur Erreichung von Klimazielen verstärkte Aufmerksamkeit erhalten, dass also solche Aspekte wiederum möglichst «tangibel» gemacht werden. Tangibel zu machen heisst einerseits, einen allgemein anerkannten Ansatz zu entwickeln, wie diese Faktoren quantifiziert werden, und andererseits, die nötigen Datengrundlagen zu schaffen. Für Heizsystemwechsel sind sowohl das Vorgehen als auch die Kostenfaktoren bekannt; zur Erfassung der grauen Energie bestehen Ansätze, aber grösstenteils liegen die Daten nicht vor.
Nachhaltigkeit umfasst mehr als das Thema Energie und Klima. Bleibt es bei dieser eingeschränkten Betrachtung?
Sie sprechen hier wohl vor allem die soziale Komponente S von ESG an, wie Raumqualität, Komfort, Wohlbefinden oder Sicherheit. Grösstenteils handelt es sich hierbei im Gegensatz zu den E- Themen um intangible Faktoren. Diese sind nochmals schwerer zu quantifizieren oder von anderen Faktoren zu trennen. Nehmen Sie wiederum das Beispiel Wohnungsmiete: Wie wollen Sie datenbasiert feststellen, ob es einen Mietaufschlag für Wohlbefinden gibt, was ja notabene subjektiv ist. Komfortlüftungen von Minergie-Wohnungen zum Beispiel erfreuen sich ja nicht bei jedem Mieter grosser Beliebtheit. Im Gegensatz zu den Energiefragen besteht zu diesen Themen noch kein Konsens zum generellen Ansatz. Grundsätzlich sind das ja keine neuen Themen, welche implizit durchaus bereits in den Mieten abgebildet werden.
Gibt es regulatorische Vorschriften, welche Nachhaltigkeitskriterien zu berücksichtigen sind und wie konkret sind diese?
Gemäss Swiss Valuation Standards (SVS), den Best Practice-Vorgaben für Immobilienbewertungen in der Schweiz, sollte jedes Bewertungsgutachten eine Beurteilung des Einflusses von Nachhaltigkeitsaspekten auf den Immobilienwert enthalten, die vom Markt als wertrelevant wahrgenommen werden. Etwas darüber hinaus geht RICS, ein angelsächsischer Berufsverband für Immobilienfachleute, mit seiner Guidance Note zu Nachhaltigkeit und ESG, welche festhalten, dass die kurz-, mittel- und langfristigen Einflüsse von Nachhaltigkeitskriterien in der Bewertung berücksichtigt werden sollen. Es folgt eine nicht abschliessende Auflistung von möglichen Kriterien, wie CO2-Emissionen und Energieeffizienz, Investitionen, Umwelt-, physische und Transitionsrisiken, Liegenschaftsqualität, steuerliche und juristische Faktoren, Zertifizierungen, Ratings und Benchmarks, Verkehrserschliessung oder Soziales und Wohlbefinden. Es handelt sich dabei aber um Vorgaben / Guidance Notes und nicht um regulatorische Vorschriften.
Viele dieser Nachhaltigkeitskriterien finden sich im SSREI. Hilft es dem Bewerter daher, wenn der Kunde seine Portfolio-Analyse nach SSREI durchgeführt hat?
Grundsätzlich ja, da somit erstens Daten zu diesen Nachhaltigkeitskriterien vorliegen und diese zweitens nach einem offiziellen Verfahren aufgearbeitet und von unabhängiger Stelle verifiziert worden sind. Es liegt dann am Bewerter abzuschätzen, inwiefern diese einen materiellen Einfluss auf den Liegenschaftswert haben, und auf welche Weise diese in der Bewertung berücksichtigt werden sollen.
Der SSREI-Prozess lässt sich also mit dem Bewertungsprozess kombinieren.
Es bestünden durchaus signifikante Synergieeffekte; diese werden allerdings aktuell wenig bis gar nicht genutzt. Bei vielen institutionellen Investoren wurde das Thema Nachhaltigkeit zumindest zum Teil an dezidierte Nachhaltigkeitsteams überstellt, während die Bewertungen hauptsächlich beim Portfoliomanagement angesiedelt sind. Hier bestehen sicher noch Verbesserungsmöglichkeiten hinsichtlich interner Datendurchlässigkeit und stärkerer Verzahnung, damit die kurz- bis mittelfristige Investitionsplanung des Portfoliomanagements mit den erarbeiteten Absenkpfaden übereinstimmt.
Wünschenswert wäre allgemein eine höhere Datentransparenz. Hiervon könnte die gesamte Immobilienbranche nur profitieren, einerseits durch Vermeidung von Mehrspurigkeiten bei der Datenerhebung, und andererseits zur Verringerung von Unsicherheiten bei den Wertschätzungen.
Wie sieht die Rolle des Revisors aus, sollte der Druck zu stärkerer Berücksichtigung der Nachhaltigkeit in Wertgutachten von Immobilien nicht auch von dieser Seite kommen?
Dies wäre eine Rollenumkehr. Die Revisionsstelle ist gesetzlich vorgeschrieben und hat die Rolle, unabhängig zu prüfen, ob die Jahresrechnung den gesetzlichen Vorschriften, Statuten und dem gewählten Regelwerk entspricht. Immobilienbewertungen werden unabhängig von der Revisionsstelle durch Drittunternehmen unterstellt und von Experten im Rahmen der Prüfung validiert. Geltende gesetzliche Vorschriften müssen also in den Bewertungsgutachten seitens Bewerter berücksichtigt werden; die Revisionsstelle stellt sicher, dass dies der Fall ist. Die effektiven Vorschriften kommen allerdings von anderer Stelle, entweder vom Gesetzgeber aus der Politik oder allenfalls aus der Industrie mittels Selbstregulierung. Die EU hat hier vorwiegend den Top-Down-Weg aus gesetzlichen Vorschriften gewählt, zum Beispiel via CSRD und EU-Taxonomie, während wir in der Schweiz eher den Weg der Selbstregulierung kennen, wie beispielsweise die AMAS-Selbstregulierung für Immobilienfonds zeigt.
Welcher Weg hat sich besser bewährt?
Am Ende liegt die Wahrheit wohl wie so oft in der goldenen Mitte. Die strengen EU-Vorgaben, welche ja zunehmend mehr Schweizer Unternehmen betreffen werden, führen zu sehr viel Bürokratie, welche der Umwelt ja vorerst nicht viel bringt. Ich denke, die Schweiz tut gut daran, diese Vorgaben nicht blind zu übernehmen. Der pragmatische Weg der Selbstregulierung wird ja aufgenommen und umgesetzt. Es herrscht Konsens darüber, dass der CO2-Ausstoss so schnell wie möglich verringert werden muss, und Immobilien spielen hier nun mal eine Hauptrolle. Die Umsetzung dieser Ziele geht aber nicht von heute auf morgen, und Netto-Null gibt es auch nicht zum Nulltarif. Man muss das klar benennen, und es braucht eine gesamtgesellschaftliche Diskussion darüber, wer welchen Anteil dieser Kosten übernimmt. Andernfalls erreichen wir eher Stillstand als Fortschritt.
Herzlichen Dank, Herr Delé, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.