Interview mit Damian Müller

Damian Müller, Luzerner Ständerat, im Gespräch mit SSREI zu Fragen der Energieversorgung, dem energetischen Umbau und der Raumplanung.

Damian Müller absolvierte eine kaufmännische Lehre und war während seiner beruflichen Laufbahn in verschiedenen Funktionen bei Valora, Swiss Life und nun bei der Mobiliar im In- und Ausland tätig. Müller wurde von seinem Elternhaus politisch geprägt und sensibilisiert und hat sich bereits in jungen Jahren in politischen Ämtern engagiert. Ab 2011 sass er im Luzerner Kantonsrat und ist seit 2015 Ständerat. In dieser Tätigkeit vertritt er den Kanton Luzern in verschiedenen Kommissionen, so auch in der UREK, der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie.

Interview mit Damian Müller:
Ständerat des Kantons Luzern
Wer sind Sie?

Ich bin ein Mensch, der anpackt und umsetzt. Ich setze mir Ziele und Werte, damit ich den Kompass und Sextant nicht verliere. Ich bin ein naturverbundener Mensch, treibe gerne Sport und lese gerne. Und ja, ich kann ungeduldig sein. Also, los mit dem Interview.

Sind Sie ein naturverbundener Mensch und verstehen Sie die Widerstände gewisser Teile der Gesellschaft betreffend Ausbau der Speicherseen respektive den Bau grossflächiger PV- und Windanlagen in den Alpen?

Ein zentraler Pfeiler unseres Wohlstands ist Energie. Nun verbrauchen wir noch immer viel zu viel Energie, die nicht nachhaltig und damit auch nicht ökologisch hergestellt wird. Die negativen Auswirkungen des Klimawandels auf die Natur sind gewaltig. Als Politiker muss ich deshalb die verschiedenen Interessen gegeneinander abwägen: Lokaler Naturschutz oder globaler Klimaschutz, der auch die lokale Natur stark beeinflusst. Selbst als naturverbundener Mensch muss man eine Interessenabwägung vornehmen. Fakt ist eine Stromlücke im Winter wegen des Umbaus der Heizsysteme, d.h. der Abkehr von den fossilen Brennstoffen, denn die Wärmepumpen, die mehrheitlich zum Einsatz kommen werden, benötigen Strom. Hinzu kommt der zusätzliche Strombedarf bedingt durch die Elektromobilität. Ohne Kompromisse – leider zulasten der Natur – wird es nicht gehen. Aber der Schaden wird mit Ausgleichsmasnahmen in Grenzen gehalten, denn niemand will die Natur zerstören.
Wir stehen unter Zeitdruck. Der energetische Umbau ist im Gange und der Strombedarf steigt kontinuierlich. Wir müssen die Kapazitäten schnell ausbauen, um die Stromversorgung sicherstellen.
Was ich zu beobachten glaube und zutiefst bedauere, ist, dass die Schweiz ihren Pioniergeist und den Sinn für den Fortschritt verloren hat. Ich bin ein vehementer Verfechter der Demokratie, aber wir müssen lernen, schneller zu Entscheidungen zu kommen.

Die Gletscher-Initiative wurde im Herbst 2022 zugunsten eines Gegenvorschlages zurückgezogen. Die SVP hat dagegen das Referendum ergriffen und bevorzugt Atomkraftwerke gegenüber dem Ausbau von erneuerbaren Energien. Ist eine solche Politik mehrheitsfähig?

Ich komme auf das oben erwähnte Zeitproblem zurück. Der Bau eines AKW dauert 20-30 Jahre – diese Zeit haben wir nicht. Zudem ist mit der ungelösten Endlagerung des radioaktiven Abfalls, der Ausbau dieser Technologie einfach unverantwortlich gegenüber den zukünftigen Generationen. Ich glaube auch nicht, dass Atomkraftwerke politisch mehrheitsfähig sind. Jetzt auf AKWs umzuschwenken, würde vor allem den Ausbau der Erneuerbaren bremsen, der endlich in die Gänge kommt, und damit das Zeitalter von Öl, Erdgas und Benzin verlängern. Damit würden wir dem Klima einen Bärendienst erweisen.
PV-Anlagen und Speicherseen sind die Technologien, die auch im Parlament am meisten Rückhalt finden. Das Solar-Express-Gesetz, welches Solaranlagen im alpinen Raum erlaubt, mit grosszügiger Förderung und vereinfachtem Bewilligungsverfahren, soll der inländischen Winterversorgung ein Schub verliehen werden.

Photovoltaik- und Windanlagen, AKWs – das sind alles Grossanlagen. Weshalb setzt der Bund nicht auch vermehrt auf dezentrale Lösungen, wie beispielsweise Lüftungen (siehe Interview mit Heinrich Huber), gezielte betriebliche Optimierungen oder die Beeinflussung des Nutzungsverhaltens im Gebäudesektor? Alles Themen, welche mit Minergie bereits vor 20 Jahren aufgegriffen wurden. Ihr Beitrag zur Energieeffizienz ist in Fachkreisen auch heute noch unbestritten.

Energie-Effizienz der Gebäude muss stets erste Priorität haben! Jedes Kilowatt Strom, das wir dezentral einsparen, reduziert den Bedarf an zusätzlichen Kapazitäten von Grossanlagen. Ich bin mit der EMPA daran, ein Anreizsystem für die Förderung der Energie-Effizienz zu entwickeln. Dass Anreizsysteme ihre erwünschte Wirkung zeigen, hat die Industrie bereits bewiesen. So wurden mit den Energievereinbarungen zwischen EnAW (Energie-Agentur der Wirtschaft) und der Industrie signifikante Einsparungen respektive Effizienzsteigerungen realisiert. Darüber hinaus bin ich klar der Meinung, dass künftig jede geeignete Dachfläche mit einer Solaranlage ausgestattet werden soll. Die Potenziale sind hier gewaltig, auch im Winter. Wir müssen einfach schauen, dass dies nicht zu einer Mehrbelastung für die Hauseigentümer wird.

Es gibt Experten, die darlegen, dass die Schweiz sowie Norwegen, Schweden und Österreich über genügend Speicherkapazitäten verfügt, um sich autark zu versorgen. Will man aber Teil der europäischen Stromversorgung respektive des europäischen Stromausgleichs sein, so braucht es eben zusätzliche Kapazitäten. Es dürfte jedoch in niemandes Interesse sein, das Verhältnis mit der EU zu zerrütten. Trotzdem stärkt dies unsere Verhandlungsposition im Zusammenhang mit dem Rahmenabkommen Schweiz-EU.

Ich weiss nicht, welche Experten so etwas sagen. Ich würde das stark hinterfragen. Autarkie ist sicherlich das teuerste was wir anstreben können. Sind unsere Speicherseen voll, reicht das gerade einmal für rund drei Wochen Vollversorgung im Inland. Zudem sind wir so eng mit unseren Nachbarstaaten verknüpft, dass sehr viel Strom abfliessen würde. Das ist ja aber auch gewollt: Unsere Stromversorgungsunternehmen verdienen sehr viel Geld durch den Stromhandel. Historisch haben wir immer Strom in Deutschland und Frankreich eingekauft und nach Italien verkauft. Und unsere Rolle als Stromdrehscheibe und kurzfristige Batterie im Herzen von Europa wird mit den hohen Anteilen an Wind- und Solarproduktion in den umliegenden Ländern noch viel lukrativer. Aus meiner Sicht führt kein Weg an einem Stromabkommen mit der EU vorbei. Die Pattsituation in den Verhandlungen mit der EU beunruhigen mich deshalb sehr.

Kommen wir nun mit der Finanzierung des energetischen Umbaus zu einem weiteren, politisch heiklen Thema. Wie die Ukraine-Krise eindrücklich vor Augen geführt hat, funktionieren die Marktmechanismen: So haben die Turbulenzen an den Rohstoffmärkten einen eigentlichen Boom bei den Wärmepumpen ausgelöst. Wie stehen Sie zu den CO2-Lenkungsabgaben?

Der Ukraine-Krieg hat nicht nur einen Boom auf Wärmepumpen ausgelöst, er hat auch PV-Anlagen salonfähig gemacht! Lenkungsabgaben sind die gerechteste Form, finanzielle Mittel für den Umbau zu beschaffen, weil jedes Individuum die Höhe der Abgaben selbst steuert. Insofern ist auch die Behauptung, Lenkungsabgaben seien versteckte Steuern, verfehlt. Den energetischen Umbau mittels Fördergelder mitzufinanzieren, ist ein etabliertes Instrument in der Schweiz. Zudem braucht es noch viel Investition in die Entwicklung neuer Technologien. Auch das muss finanziert werden.

Werfen wir nun noch einen Blick auf die EU-Regulierung. Diese berücksichtigt das Thema Nachhaltigkeit mit der EU-Taxonomie sehr umfassend und bildet dadurch wiederum die Basis für entsprechende Reporting-Vorschriften (Sustainable Finance Disclosure Regulation, SFDR). Demgegenüber reduziert sich der Bundesrat mit der Verordnung zur verbindlichen Klimaberichterstattung, welche per 1.1.2024 in Kraft tritt, stark auf die Klimafrage (wir haben berichtet). Gleichzeitig orientiert sich die Branche an Standards – wie u.a. auch am SSREI – welche umfassender und im Sinne der EU-Taxonomie ausgelegt sind. Wie kann man dem Bundesrat zu mehr Mut verhelfen?

Die Schweizer Gesetzgebung hinkt unbestritten jener der Europäischen Union hinten nach. Ich motiviere Sie dazu, das Heft in die Hand zu nehmen, wesentliche Exponenten der Branche an einen „Runden Tisch“ zu bewegen, konkrete Vorschläge auszuarbeiten und diese dem Bundesrat zu überbringen. Das ist ein bewährter Weg, politische Prozesse voranzutreiben.

Themenwechsel. Sie sind Mitglied der UREK. Die Raumplanung setzt wichtige Massstäbe in Bezug auf Verdichtung, Mobilität sowie die Nutzungsdichte und folglich den Verbrauch der Ressourcen Boden und Energie. Trotzdem ist beispielsweise das Thema Verkehr nicht in der UREK vertreten. Kann so überhaupt eine Übersicht gewonnen werden?

Der Verkehr wird zwar in einer anderen Kommission, der KVF (Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen), behandelt, ist jedoch dem gleichen Departement zugehörig. Je nach Bedarf werden demnach Themen kommissionsübergreifend behandelt. Aber tatsächlich ist es für alle Beteiligten eine grosse Herausforderung, einen Überblick über die raumplanerischen Abhängigkeiten zu behalten. Die Gefahr, Probleme lokal zu beheben, anstelle einer Ursachenbekämpfung, besteht folglich immer wieder. Ein aktuelles Beispiel zeigt der kürzlich erschienene Artikel von Markus Mettler, CEO der Halter AG, in der NZZ am Sonntag mit dem Titel „Die Liste an Auflagen ist schier endlos“. Dort wird dargelegt, dass die Auflagen und Anforderungen an eine Baubewilligung immer disperser, zeitintensiver und somit kostspieliger werden und daher der geforderten Verdichtung nach innen massiv entgegenwirken. Persönlich glaube ich, dass in der Raumplanung, wie auch in der Energiepolitik, der kantonale Flickenteppich noch stärker harmonisiert werden muss. Wir leisten uns hier gewaltige Ineffizienzen.

Um dem entgegenzuwirken wäre ein erster Schritt, ein schweizweites GIS-basiertes Datenmodell zu etablieren. Dieses würde es ermöglichen, sämtliche raumplanerisch relevanten Themen wie Verdichtung, Verkehr, Ver- und Entsorgung, Stadtklima, Energie und Naturraum abzubilden und zu koordinieren. Doppelspurigkeiten und Widersprüche könnten massiv reduziert werden. Gleichzeitig könnte ein solches Modell als Kommunikationsmittel bei internen oder öffentlichen Informationsanlässen hilfreich sein.

Das wäre mit Sicherheit ein Gewinn. Dabei gibt es zwei Punkte, die es zu überwinden gilt: Zum einen verzeichnen die einzelnen Ämter wie ARE, BAF, BFE, ASTRA, BFU sehr unterschiedliche Niveaus an digitaler Datenverarbeitung oder Bereitschaft für innovative Ansätze. Zum anderen liegt die raumplanerische Hoheit bei den Kantonen, was nach wie vor eine sehr zurückhaltende Bereitschaft zum Datenaustausch zur Folge hat. Die Erfahrung jedoch zeigt, dass die zunehmende Komplexität und Dringlichkeit gesellschafts-, klima- und energiepolitischer Themen, unweigerlich nach innovativen und interdisziplinären Denk- und Arbeitsmodellen verlangen.

Herzlichen Dank, Herr Müller, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

 

 

Das Interview wurde von Sabrina Contratto (CONT-S GmbH) und Elvira Bieri (SSREI AG) geführt.

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