Interview mit Andreas Meyer Primavesi

Andreas Meyer Primavesi, Geschäftsleiter des Vereins Minergie zum Thema «Minergie und MuKEn 2025 – eine lange Geschichte wird fortgeschrieben».
Wer sind Sie?

Ich bin Geschäftsleiter der beiden Vereine Minergie und GEAK und ausgebildeter Forstingenieur.

Der Minergie-Standard wurde 1998 publiziert. Eine Erfolgsstory?

Minergie ist seit Jahrzehnten Vorreiter der Gesetze. Im internationalen Vergleich hat Minergie eine einmalige Verbreitung und Markenbekanntheit. Nicht zu unterschätzen ist die indirekte Wirkung. Auch dank Minergie wurden Wärmeschutzfenster, Fassadendämmung, Wohnungslüftungen und Wärmepumpen zum Standard. All das war in den 90er-Jahren noch reichlich exotisch. Minergie hat den Beweis erbracht, dass man damit nicht nur die Umwelt schützt, sondern auch den Komfort und den Werterhalt erhöht, und hat das nachhaltige Bauen so gesellschaftsfähig gemacht.

Einiges wurde dann in die MuKEn und damit kantonalen Energiegesetze getragen?

Ja, das stimmt. Die Pioniere aus den 90er-Jahren erzählen mir immer wieder, dass die Vorgaben von Minergie damals als absurd und utopisch bezeichnet wurden. Den Energiebedarf um Faktor 3 zu reduzieren, Sonnenenergie zu nutzen, eine Lüftung in Wohnbauten zu fordern, das war sehr gewagt. Erst als Minergie bewiesen hat, dass all dies technisch und wirtschaftlich tragbar ist, fand man politische Mehrheiten für entsprechende Vorgaben in den MuKEn.

Gerade seitens der Architekten gibt es Vorbehalte und Missverständnisse gegenüber Minergie. Was wird genau kritisiert?

Einerseits ist das normal, denn wir fordern viel von den Architektinnen. Sie müssen auch ohne Minergie vieles unter einen Hut bringen. Und einige würden dann die Prioritäten wohl doch lieber anders setzen als beim Klimaschutz, Effizienz und Komfort. Wobei es ein Missverständnis ist zu glauben, dass die Minergie-Anforderungen die Gestaltungsfreiheit einschränken. Es gibt viele höchst gelungene architektonische Entwürfe zu Minergie. Andererseits scheint es uns auch nach bald 30 Jahren nicht gelungen zu sein, den Reiz einer guten Dämmung und Lüftung perfekt zu kommunizieren. Es braucht zum Beispiel sehr viel Zeit, bis die Vorteile einer Grundlüftung in Sanierungen bekannt sind. Mindestens so wichtig ist mir aber, dass die allermeisten Nutzenden mit dem Minergie-Konzept zufrieden sind. 9 von 10 würden wieder so bauen.

Was fehlt, um auch die fehlende Person zu überzeugen?

10 von 10, das schaffen wir nie – schliesslich wird in der Schweiz jedes Gebäude einzeln geplant, gebaut, betrieben. 10 von 10, das geht nur in komplett industriellen, standardisierten Gebäuden. Aber die Verschärfungen der letzten Jahre in Sachen Inbetriebsetzung, Sommerlichem Wärmeschutz oder Regulierbarkeit der Lüftung zeigen langsam Wirkung. Reklamationen zu trockener Luft sind in neuen Projekten selten geworden – wobei wir das Thema der sommerlichen Überhitzung klimabedingt noch nicht überall im Griff haben.

Immer wieder die Lüftung. Warum eigentlich diese Widerstände?

Leider wurde das Thema in den Anfängen zu emotional besetzt. Oft wurde von Zwangslüftung geschrieben, von einer Entmündigung der Nutzenden. Fehlinformationen wie jene, dass bei Minergie die Fenster nicht geöffnet werden dürfen, wurden und werden teils bewusst verbreitet. Aber es wird besser, und die Klimaerwärmung könnte diesbezüglich sogar hilfreich sein. Wir werden künftig sehr viele Gebäude kühlen: Wohnbauten, Büros, Schulen, Altersheime usw. Und Kühlen ohne Lüftung mit Wärmerückgewinnung, das macht keinen Sinn. Mir ist diese Wärmerückgewinnung auch fürs Winterhalbjahr sehr wichtig. Mit dieser lässt sich viel Heizenergie sparen, wenn diese am meisten verbraucht wird, nämlich an kalten Wintertagen. Effizienz statt neue Gaskraftwerke, AKWs, Windparks und freistehende PV-Anlagen – das scheint mir ein guter Deal.

Weshalb sind Lüftungen nicht längst gesetzlich vorgeschrieben wie in den skandinavischen Ländern?

Das weiss ich nicht. Es wurde jedenfalls auch im Rahmen der neuen MuKEn 2025 nicht wirklich diskutiert.

Wie schätzen Sie eigentlich die MuKEn 2025 ein?

Ich finde sie fortschrittlich und gleichzeitig angenehm pragmatisch.

Können Sie das erläutern?

Die Kantone hatten den Auftrag, mit der MuKEn 2025 einen wesentlichen Schritt hin zur Energiestrategie 2050 und dem Netto-Null-Ziel 2050 zu machen. Das bedeutete: Wo möglich zu vereinfachen, unnötige Anforderungen aufzuheben oder wo nötig zu verschärfen. Beginnen wir bei der Vereinfachung: Es ist eine Herausforderung, die Energiegesetze zu vereinfachen. Denn die gesellschaftlichen Anforderungen an Gebäude werden immer höher. Ich finde es darum gut, dass die MuKEn 2025 nicht versucht, alles neu zu erfinden, sondern nur punktuell Dinge weglässt und gleichzeitig den Nachweis vereinfacht. Ganz neu sind für viele wohl nur die Grenzwerte für graue Energie – aber da übersieht man etwas.

Was denn?

Wirklich viel bewirken würde man, wenn man die Sanierungsanforderungen in möglichst allen Kantonen einführen würde. Also eine Eigenstrompflicht bei Dachsanierungen (Art. 1.25), ein weitgehendes Verbot fossiler Heizungen (Art. 1.29) und die «kleine Sanierungspflicht» für Gebäudehüllen (Art. 13.1).

Wenn das in der MuKEn steht, dann müssen die Kantone das doch einführen?

Die Kantone haben sich verpflichtet, die Bestimmungen des Basismoduls rasch in ihre Gesetze zu überführen; bei den anderen Modulen sind sie freier. Das bedeutet aber, dass man in Parlamenten und Bevölkerungen die entsprechenden Mehrheiten findet. Die Kritiker der MuKEn vergessen das zuweilen, wenn sie zum Beispiel schärfere Grenzwerte für die graue Energie fordern.

Denken Sie, die Vorgaben zur Grauen Energie werden ein Problem sein?

Nein. Sie basieren methodisch und auch bei den Grenzwerten auf Grundlagen, die bei Minergie und ECO viele Jahre lang getestet und optimiert wurden. Man kann so an allen Standorten weiterhin bauen – ausgenommen absolute Spezialfälle, die man gemäss MuKEn 2025 separat behandeln darf. Und sobald sich die Branche an diese neue Vorgabe gewöhnt hat, kann man die Grenzwerte in der Verordnung sukzessive verschärfen.

Zurück zu Minergie: Geht Minergie weiter als die MuKEn 2025?

Ja. In den letzten Jahren haben wir uns einen grossen Abstand zur MuKEn erarbeitet, der auch mit der Version 2025 bestehen bleibt. Zum Beispiel höhere Anforderungen an die Gebäudehülle, an die Gesamtenergieeffizienz, Raumluftqualität und Hitzeschutz. Die Grenzwerte für Graue Energie verschärfen wir auf Anfang 2026, dann ist Minergie auch hier wieder voraus. Spannend in der neuen MuKEn ist zudem die Möglichkeit, die Teile B bis F, also den gesamten Energiebedarf von Neubauten, mit dem Minergie-Label oder dem GEAK nachzuweisen.

Was bringt das?

Ein Beispiel: Bei Neubauten wird neu eine PV-Anlage mit 20Wp/m2 EBF gefordert. Das bedingt bei hohen Gebäuden eine fassadenintegrierte Anlage. Mit den Minergie-Standards muss man «nur» das Dach voll belegen – hat aber natürlich höhere Vorgaben an die Energieeffizienz. Es würde mich wundern, wenn das nicht in einigen Projekten der schlauere Ansatz wäre.

Ein wesentlicher Beitrag zur Lösung des Energieproblems ist auch der Betrieb. Im Mai dieses Jahres wurde der Standard «Minergie-Betrieb» lanciert. Was sind hier Ihre Erkenntnisse?

Zuerst zum Positiven: 15% Energieeinsparung schaffen wir eigentlich immer. Das Potenzial ist also eindeutig vorhanden, wird aber noch nicht überall erkannt – wohl auch wegen den aktuellen Energiepreisen und dem Mieterdilemma. Minergie-Betrieb benötigt also eine gewisse Anlaufzeit. Wir sind jetzt aber mit immer mehr Eigentümerschaften im Gespräch, die das Energiesparpotenzial von Minergie-Betrieb erkannt haben. Über ein Dutzend Anträge wenige Monate nach Einführung dieses Zertifikats im Betrieb stimmen mich zuversichtlich.

Als Fazit könnte man also sagen, dass ein nach Minergie gebautes und nach Minergie-Betrieb betriebenes Gebäude das Energieproblem zu einem wesentlichen Teil löst?

Ja. Würden im 2050 alle Gebäude in der Schweiz den Minergie-Standard erfüllen, hätte unser Sektor seine Ziele erfüllt. Und die Menschen wären in ihren Häusern erst noch vor der Klimaerwärmung geschützt. Aber daran glaube ich nicht. Es bleiben lediglich 25 Jahre für die Gesamtsanierung von über 1 Million Gebäuden, und das ist eine Herkulesaufgabe. Würde man nun neben dem Eigenmietwert auch noch das Gebäudeprogramm abschaffen, geriete das Ziel völlig ausser Sicht. Das demotiviert mich aber nicht. Jedes Minergie-Gebäude ist ein Beitrag an den Kampf gegen die Klimaerwärmung. Jeder fossilfreie Heizungsersatz, jede Dämmung eines Dachstocks oder einer Kellerdecke, jeder Fensterersatz bringt etwas. Wenn wir damit unsere Gletscher ein paar Jahrzehnte länger vor dem Schmelzen bewahren, macht das Sinn.

Herzlichen Dank, Herr Meyer Primavesi, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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