Eine Frage an Oliver Martin, Leiter Sektion Baukultur, Bundesamt für Kultur

Herr Martin, in letzter Zeit hat die Spannung zwischen den Ortsbildschutzinteressen und den Nutzungsinteressen drastisch zugenommen. Im Sommer warnte die Stadt Zürich vor einer Baubewilligungsblockade. Im Rahmen der Debatte zur Biodiversitätsinitiative war vom «rigiden Ortsbildschutz» die Rede, der den dringend notwendigen Wohnungsbau verhindere. Brauchen wir auf dem Weg zur 10-Millionen Schweiz Hindernisse wie das ISOS?

Das ISOS hilft, das Ziel einer qualitätsvollen Innenentwicklung zu erreichen. Gute Verdichtung heisst umsichtiger Umgang mit dem Bestand. Dazu dient das ISOS. Es ist kein Hindernis. Das ISOS ist eine Grundlage für die gute Weiterentwicklung unserer wertvollsten Dörfer und Städte, damit diese ausgewählten Orte ihre Schönheit behalten. Die Berücksichtigung des baulichen Kontexts ist dafür unabdingbar.

Es wird heute sehr viel gebaut. Von einer Baublockade kann keine Rede sein, und der Schweizer Ortsbildschutz ist nicht besonders strikt – das zeigt eine Fahrt durch das Land. «Die Schweiz ist hässlich», titelte auch schon die NZZaS. Gerade jetzt, wo die Herausforderungen bei der Planung, dem Bau und der Gestaltung unserer Umwelt immer grösser und der Spielraum immer knapper werden, ist der Ortsbildschutz von Bedeutung und muss funktionieren, um vermeidbare, unwiederbringliche Schäden und Verluste in unserem Lebensraum zu vermeiden.

Es gibt nur eine gebaute Umwelt, die uns allen gehört – aber viele verschiedene Interessen und Standpunkte, die darin realisiert sein wollen. Weil das nicht immer möglich ist, müssen wir unsere Umwelt verhandeln, uns einigen, immer wieder, für jeden Ort aufs Neue. Dafür braucht es ein transdisziplinäres Denken, ein sektoralübergreifendes Vorgehen. Einige Kantone und Städte arbeiten bereits nach diesem Ansatz. Sie beziehen das ISOS frühzeitig in ihre raumplanerischen Vorhaben ein und entwickeln nachhaltige, qualitätsvolle Projekte, die dem entsprechenden Ort angemessen sind.

Es gibt denn auch viele Beispiele für gelungene Verdichtungsprojekte in ISOS-Ortsbildern. Sie sind der Beweis, dass das ISOS nicht den Wohnungsbau verhindert, aber eine Auseinandersetzung mit dem Ort einfordert, die zu passenden Projekten führt. Das ist mitunter anstrengend und braucht hohe Kompetenzen, aber es lohnt sich, vor allem für die Menschen, die dort leben und arbeiten. Wichtig ist, dass die Verfahren und Instrumente für alle Beteiligten klar sind, dass von Anfang an die richtigen Weichen gestellt werden, dass Rechts- und Planungssicherheit erreicht werden kann.

Das Bundesamt für Kultur (BAK) setzt sich sehr ein für eine umfassende und zukunftsgerichtete Baukulturpolitik. Wir sollten aufhören, Alt und Neu, Schutz und Nutzung gegeneinander auszuspielen, als könnte das Eine ohne das Andere existieren. Es braucht beides. Was wir gestern geplant und gebaut haben, ist die Heimat von heute. Was wir heute planen und bauen, wird die Heimat von morgen sein. Diese Verantwortung muss uns täglich begleiten und unseren Entscheidungen zugrunde liegen.

 

Zur Person: Oliver Martin ist Leiter der Sektion Baukultur im Bundesamt für Kultur (BAK). Das BAK verantwortet als Fachbehörde des Bundes für Denkmalpflege, Archäologie und Ortsbildschutz das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von nationaler Bedeutung (ISOS). Oliver Martin leitet die interdepartementale Arbeitsgruppe Baukultur des Bundes und präsidiert die Davos Baukultur Alliance, die internationale Allianz zwischen öffentlicher Hand, Zivilgesellschaft und Privatwirtschaft für eine hohe Baukultur

 

 

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