Interview mit Ulrich Kaluscha

Ulrich Kaluscha, Senior Advisor bei MV Invest, im Gespräch mit SSREI über indirekte Immobilienanlagen und Nachhaltigkeit
Interview mit Ulrich Kaluscha
Senior Advisor, MV Invest AG
Wer sind Sie?

Ich bin ein Investment-Professional, der seit mehr als 20 Jahren in der Immobilien-Strategie- und Investmentberatung in der Schweiz arbeitet. Dabei habe ich Institutionelle Investoren sowohl in der Schweiz als auch international bei direkten und indirekten Investitionen in Immobilien begleitet. Seit mehr als drei Jahren setze ich mich intensiv mit der Frage auseinander, wie man bei der Konstruktion eines indirekten schweizerischen Immobilien-Portfolios, bestehend aus Immobilienfonds, Immobilienaktien oder auch Immobilien-Anlagestiftungen, den Nachhaltigkeits-Aspekt am besten einbindet. 

Im Markt gibt es eine Vielzahl von Benchmarks, Zertifizierungen und Labels, die es doch eigentlich einfach machen sollten, eine Aussage über die Nachhaltigkeit eines Immobilien-Anlagevehikels zu treffen. Warum braucht es aus ihrer Sicht doch eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Nachhaltigkeit?

Es ist richtig, dass dem Investor eine Vielzahl von Informationen zur Verfügung stehen, aber das ist gleichzeitig auch das Problem. Die Informationen sind teilweise sehr detailliert (z.B. Energie-Label auf Objektstufe) und auf der anderen Seite gibt es mit Instrumenten wie dem SSREI oder dem GRESB bereits Tools, die eine aggregierte Aussage über die Nachhaltigkeit eines Portfolios bzw. über die Nachhaltigkeit eines Anlagevehikels machen.

Aber damit bekommt der Investor doch alle Aussagen, welche er für seinen Entscheid benötigt?

So einfach ist es halt doch nicht. Ich denke schon, dass es wichtig ist, dass man sich bewusst ist, dass GRESB eine Aussage über das Nachhaltigkeits-Managementsystem der Organisation liefert, dass die Immobilie managt und SSREI sich auf die nachhaltige Qualität der Immobilien in einem Anlagevehikel fokussiert. Man muss bei der Auseinandersetzung mit Nachhaltigkeit einfach zur Kenntnis nehmen, dass es sich um ein vielschichtiges Thema handelt und dass man es sich aus meiner Sicht zu einfach macht, wenn man sich bei Investitions-Entscheidungen nur auf ein «Informations-Tool» abstützt.

Welchen Weg haben sie eingeschlagen, um der Komplexität Herr zu werden?

Wir haben von Anfang an zwei wesentliche Entscheidungen für uns getroffen. Zum einen war für uns die Fokussierung auf ein einziges Informations-Tool, wie z.B. GRESB, nicht zielführend, da wir so per se bestimmt Anlageprodukte aus dem Anlageuniversum ausgeschlossen hätten. Ein solcher Ansatz geht aus unserer Sicht zu weit, da er der Nachhaltigkeit bei der Zusammensetzung eines Immobilien-Portfolios einen viel zu grossen Stellenwert einräumt. Zum anderen haben wir uns für den Aufbau eines eigenen Meta-Ratings entschieden, dass wir mit zusätzlichen Kriterien angereichert haben.

Was ist unter einem Meta-Rating zu verstehen und um welche weiteren Kriterien handelt es sich dabei?

Bei einem Meta-Rating sind zunächst einmal alle bereits im Markt verfügbaren Benchmarks, Zertifizierungen und Labels der Startpunkt. Wir verzichten also explizit auf eine eigene Erhebung von Daten und verwenden nur öffentlich zugängliche Daten. Bei diesem Ansatz kommt man aber nicht darum herum, eine Einordnung der verfügbaren Daten vorzunehmen. Man muss also grundsätzlich entscheiden, was eine GRESB-Bewertung, z.B. von 3 Sternen, im Vergleich zu einem SSREI-Rating, von z.B. 1.8 Punkten wert ist. Hier hört dann die exakte Wissenschaft auf und die jeweilige Philosophie des Rating-Erstellers beginnt.

Und welche Philosophie verfolgen Sie?

Uns liegt das Management von nachhaltigen Immobilien näher als das nachhaltige Management von Immobilien. Das klingt zwar nach Wortspielerei, aber für uns heisst dies konkret, dass wir Informationen, die sich direkt auf die Nachhaltigkeit von Immobilien beziehen höher bewerten als Informationen, die lediglich die unterliegenden Prozesse abbilden. Auch wenn man gute Prozesse hat, kann man schlechte Entscheidungen treffen…

Noch mal zurück zu den zusätzlichen Kriterien, die sie berücksichtigen

Richtig. Es ist für uns zum einen wichtig, dass wir tatsächlich ein gutes Bild über den aktuellen Zustand des Vehikels erhalten, wir nennen das Footprint. Zum anderen möchten wir aber auch ein Gefühl dafür bekommen, wie das Vehikel aufgestellt ist, um auf unerwartete Einflüsse in Bezug auf Nachhaltigkeit reagieren zu können. Man denke hier zum Beispiel an Veränderungen im regulatorischen Bereich. Das ist für uns dann der Faktor Agilität. Wir schauen uns also detailliert die rapportierten Umweltkennzahlen nach AMAS an und vergleichen diese sowohl im Zeitablauf als auch mit den REIDA Kennzahlen. Auf der anderen Seite profitieren wir aber auch davon, dass sich MV Invest bereits seit über 30 Jahren im indirekten Immobilienmarkt bewegt. Da hat sich eine ganze Menge Erfahrung mit den unterschiedlichsten Management-Teams angesammelt, die wir im Rating ebenfalls abbilden.

GRESB deckt die Themen ESG (Environment – Social – Governance) ab, wobei es beim E um das eigentliche Gebäudemanagement geht. Sind die S (Arbeitsbedingungen) und G (Unternehmensgrundsätze) für indirekte Anlagen ebenfalls relevant?

Grundsätzlich sollten alle Gesellschaften, unabhängig davon in welcher Industrie sie arbeiten, verantwortlichen und ethischen Grundsätzen folgen. In diesem Sinne sind viele der im S und G adressierten Themen durchaus relevant. Beim G frage ich mich allerdings schon, warum es jetzt plötzlich, im ESG verpackt, eine grössere Bedeutung haben soll. Ich hoffe doch, dass Investoren auch früher schon der Corporate Governance des Unternehmens in der Due Diligence Beachtung geschenkt haben. Ich würde mich an dieser Stelle durchaus Prof. Alex Edmans von der London Business School anschliessen, der in seinem Artikel «The End of ESG» ausgeführt hat, dass doch viele der Komponenten aus S und G bereits in der Vergangenheit «intangible assets» waren und somit zumindest in diesen Punkten es sich bei ESG wohl eher um «alten Wein in neuen Schläuchen» handelt.

Aus diesem Grund bin ich auch eher zurückhaltend, wenn Vehikel unter dem S darüber rapportieren, wieviel Fortbildung im Jahr absolviert wurde. Ich finde mich persönlich eher in dem S, so wie es im SSREI definiert wird wieder und denke eher an immobilienspezifische Themen wie Wohlbefinden (Tageslicht, Lärm) oder soziale Begegnungsmöglichkeiten. Auch hier zeigt sich wieder unsere Präferenz für nachhaltige Immobilien.

Nun kann man Immobilienportfolios schönfärben, indem man sich der alten Gebäude entledigt. Wie gehen Sie damit um?

Das ist eine schwierige Frage. Aus Investorsicht sind wir natürlich daran interessiert, dass das Anlagevehikel eine entsprechende Rendite erwirtschaftet und in diesem Licht kann es Sinn machen, sich von einer Immobilie zu trennen. Ich denke hier sollte zunächst das Primat der Wirtschaftlichkeit die Oberhand behalten. Aber natürlich ist es aus Nachhaltigkeits-Überlegungen störend, wenn sich das Vehikel systematisch allen Problemen durch Verkauf entledigt. Solange der Verkauf an einen anderen institutionellen Investor erfolgt, kann ich aber davon ausgehen, dass dieser die Immobilie, früher oder später, aus Nachhaltigkeitssicht bearbeiten wird. Anders sieht es dann aus, wenn der Verkauf an einen privaten Investor erfolgt. Hier ist die Gefahr tatsächlich gross, dass diese Immobilien noch jahrelang nicht nachhaltig betrieben wird. Wenn wir sehen, dass im grossen Umfang und systematisch ein Vehikel diese Art der «Nachhaltigkeits-Optimierung» betreibt, so würde wir wohl einen Abzug bei unserem Rating vornehmen.

Sie sind sozusagen ein «Empfänger» der Resultate der SSREI-Mitglieder. Haben Sie einen Wunsch bzgl. der Kommunikation der Ergebnisse?

Ich habe im Moment noch das Gefühl, dass viele Manager denken, dass Investoren nur dann zufrieden sind, wenn sich die Ratings ständig verbessern und am besten noch über dem Durchschnitt liegen. Hier sollten die Investoren gegenüber den Managern aber durchaus eine differenziertere Sichtweise kommunizieren. Es geht aus meiner Sicht nicht darum, dass ein Rating zwingend immer besser werden muss. Viel wichtiger ist die Erklärung, warum sich eine Kennzahl im Jahresverlauf verändert hat. Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn ein Vehikel eine Immobilie mit schlechten CO2-Werten einkauft und dadurch eine Verschlechterung eines Ratings in Kauf nimmt, solange der Manager glaubhaft darlegen kann, wie und wann diese Liegenschaft z.B. energetisch sanieren wird. Hier gibt es bei der Kommunikation durch die Manager sicherlich Verbesserungspotential.

Ich denke aber auch, dass viele Investoren zu sehr darauf achten, dass die Nachhaltigkeit eines Investments bereits hoch ist und bleibt. Dabei wäre es aus Nachhaltigkeits-Sicht viel wichtiger die Vehikel / Manager zu unterstützen, die gezeigt haben, dass sie aus «schlechten Immobilien» tatsächlich «gute Immobilien» machen können.

Herzlichen Dank, Herr Kaluscha, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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