Interview mit Samuel Leder

Samuel Leder, Programmleiter Urban Management am CUREM, im Gespräch mit SSREI zum Placemaking in der Stadt- und Arealentwicklung.

Samuel Leder ist Programmleiter Urban Management und Initiator des Placemaking-Kompaktkurses am Center for Urban and Real Estate Management (CUREM) der Universität Zürich. Ausserdem engagiert er sich als Co-Präsident im neu gegründeten Verein «Placemaking Switzerland», der branchenübergreifenden Netzwerkplattform für Placemaking-Akteure in der Schweiz.

Interview mit Samuel Leder:
Programmleiter Urban Management, CUREM
Herr Leder, wir haben Sie heute zum Thema Placemaking eingeladen. Können Sie sich zuerst kurz vorstellen und erläutern, wie Sie zu dieser Thematik gekommen sind?

Mein Name ist Samuel Leder und ich arbeite als Programmleiter Urban Management beim Center for Urban and Real Estate Management (CUREM) der Universität Zürich. Beim Urban Management geht es unter anderem um die Schaffung lebenswerter Nachbarschaften und sozial nachhaltiger Siedlungsräume. Im Placemaking sehe ich einen neuen, frischen Ansatz für die Entwicklung gut funktionierender und identitätsstarker Orte und Lebensräume. Erste Berührungen mit diesem Konzept hatte ich über die STIPO, eine Organisation, die in den Niederlanden schon seit über 20 Jahren professionelles Placemaking betreibt.

In der Fachwelt ist das «Placemaking» im Moment in aller Munde und man verspricht sich viel davon. Können Sie uns das Konzept etwas näherbringen?

Placemaking bedeutet kurz übersetzt «Community-basierte Nachbarschaftsentwicklung». Das heisst, dass physische Räume und soziale Gemeinschaften im Wechselspiel miteinander weiterentwickelt werden und dadurch Orte entstehen, die langfristig attraktiv, integrativ und lebenswert sind. Das erachte ich auch als eines der zentralen Elemente der sozialen Nachhaltigkeit. Der Begriff versammelt im Grunde verschiedene Methodiken, mit denen lokale Betroffene auf eine zielführende Art und Weise in die Nachbarschaftsentwicklung eingebunden werden können. Das ist etwas, das man schon lange als wichtig empfand. Bisher fehlten aber systematische Ansätze für die Umsetzung. Das Placemaking bietet hier eine Hilfestellung.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Ein typischer Fall sind Menschen, die sich in der Nachbarschaft engagieren möchten. Sie möchten zum Beispiel zu sozialen Treffpunkten beitragen, brachliegende Flächen begrünen oder generationenübergreifende Kontakte fördern, haben aber keine Ressourcen und Spielräume dafür. Seitens Eigentümerschaft besteht wiederum eine gewisse Ratlosigkeit darüber, wie diese Potenziale aktiviert werden können. Placemaking-Methoden können helfen, diese Lücke zu schliessen.

Somit bedeutet Placemaking schlicht mehr Partizipation?

Nein, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie der Begriff heute verwendet wird. Bei der «Partizipation» handelt es sich typischerweise um einen Expertenprozess, bei dem Laien nach ihren Wünschen oderihrer Meinung zu einem konkreten Projektvorschlag befragt werden. Placemaking dagegen beschreibt einen co-kreativen Prozess, wonach sowohl Eigentümerschaft, Planende wie auch zivilgesellschaftliche Akteure in einem ergebnisoffenen Prozess jeweils etwas beitragen, was die anderen Parteien nicht beitragen können. Gute Orte sind immer eine Gemeinschaftsleistung.

SSREI misst die Nachhaltigkeit von Immobilienportfolios, dazu zählen auch gesellschaftliche Kriterien. Können Sie uns erklären, wie sich dieses Konzept in nachhaltige Immobilien, Areale oder Quartiere einordnet?

Placemaking fördert die soziale Interaktion im Alltagsumfeld und ermächtigt Leute dazu, ihr eigenes Umfeld mitzugestalten und sich zu engagieren. Dadurch entstehen soziale Netze und integrative Strukturen, welche besonders für Leute wertvoll sein können, die sonst sozial isoliert sind, etwa ältere Personen oder Leute, die finanziell einen beschränkten Spielraum haben. Manche gewachsenen Nachbarschaften sind bereits «Places» in diesem Sinne und weisen ein starkes soziales Netz auf. In anderen Fällen fehlt dieses Netz komplett. Für Immobilieneigentümer gilt: Ein Gemeinschaftsraum allein schafft noch keine Interaktion – dazu braucht es eben die entsprechenden gemeinschaftsbildenden Prozesse.

Können Sie uns erklären, wie diese Prozesse ablaufen und wer für das Placemaking verantwortlich ist?

Ein Schlüsselfaktor im Placemaking-Prozess sind die sogenannten «Local Heroes», d.h. Personen, die sich intrinsisch motiviert im Quartier engagieren wollen. Das können Anwohner:innen sein, Hauseigentümer:innen mit einem starken Anliegen für das Quartier, Social Entrepreneurs oder auch Vertreter:innen von lokalen Stiftungen, Vereinen oder Kirchgemeinden, welche sich für nachbarschaftliche Belange einsetzen. Local Heroes sind Idealisten, die sich für den Ort interessieren, Potenziale sehen und sich dafür engagieren, dass diese realisiert werden. Damit dieses Engagement aber auch effektiv und langfristig wirkungsvoll sein kann, braucht es zugleich die bereitwillige Unterstützung der «Top-Down-Akteure» – je nach Situation sind das die Immobilien-Eigentümer oder die öffentliche Hand.

Wie unterscheidet sich der Placemaking-Prozess vom klassischen Planungsprozess?

Der klassische Planungsprozess verläuft linear und versucht Schnittstellen zu minimieren. Die community-basierte Nachbarschaftsentwicklung ist vielmehr ein Hochschaukeln. Das bedeutet, dass man eine Vision entwickelt, Allianzen bildet, bauliche Prototypen erstellt, Nutzungsprototypen entwickelt und Events umsetzt. Funktioniert ein Ansatz, wird er ausgebaut und weiterentwickelt. Dadurch entsteht ein Momentum und gegenseitiges Vertrauen unter allen Beteiligten, was grösseren Handlungsspielraum für die nächsten Schritte schafft. In diesem Sinne ist der co-kreative Prozess einem Venture Capital Investment näher als dem klassischen Immobilien-Investment. Wer Placemaking macht, geht ein Risiko ein, weil das Endresultat nicht von vornherein bekannt ist. Im Gegenzug ist das potenzielle Resultat aber sehr viel besser, als der anfängliche Spielraum erlaubt hätte. Gerade in der Innenentwicklung im bestehenden Siedlungsraum, ist ein solch ergebnisoffener Prozess oft die einzige Alternative zum Totalstillstand oder zu isolierten Einzelprojekten ohne Mehrwert für das Umfeld und die Gemeinschaft.

Welchen Anreiz haben Eigentümer:innen und Entwickler, einen solchen Ansatz zu verfolgen?

Es geht darum, Netzwerke zu bilden, Akzeptanz zu schaffen und damit auch politische Risiken zu reduzieren. Placemaking schafft Werte und trägt zur langfristigen Wertstabilität bei, es erleichtert die Positionierung und kann natürlich auch für die Kommunikation und Vermarktung genutzt werden. Und: Wer einen guten «Place», eine gute Adresse schafft, kann zurecht stolz auf sich sein.

Was ist der Unterschied von Placemaking zur klassischen Quartiersarbeit, also dem, was die öffentliche Hand, Quartiersvereine oder soziale Institutionen schon seit langem in Quartieren machen?

Das Placemaking bezieht mehr Akteure mit ein: Eigentümerinnen, öffentliche Hand und Engagierte vor Ort. Zudem umfasst es auch die bauliche Dimension.

Und wo gibt es aus Ihrer Sicht den grössten Handlungsbedarf?

Die Prinzipien sind grundsätzlich überall anwendbar – allerdings sehe ich das grösste Potenzial heute im suburbanen Raum: Die Agglomeration ist häufig austauschbar und anonym, und es fehlen belebte Räume, an denen man sich gerne trifft und aufhält.  Dabei gäbe es auch an vermeintlich anonymen, suburbanen Orten potenziell identitätsstiftende Gebäude, Geschichten und ungestillte Bedürfnisse, die als Ausgangspunkt für die Entstehung eines guten «Place» dienen können.

Wie lange dauert ein solcher Prozess?

Das ist von Situation zu Situation unterschiedlich. Man kann im Rahmen eines Planungs- und Bauprojektes in Placemaking investieren, oder dann in der Betriebsphase. Zum Beispiel durch das aktive Kuratieren von Aussenräumen oder indem man günstige Voraussetzungen für ein Engagement bietet. 

Wenn sich eine Eigentümerin oder ein Entwickler für das Thema interessiert: Wie geht man am besten vor?

Zuerst braucht es ein Bekenntnis für das «Place Led Development», die sogenannte ortsbasierte oder auch dialogisch orientierte Projektentwicklung. Man muss in einer ersten Dimension explorativ eine Vision entwickeln, in einer zweiten Dimension iterativ räumliche Interventionen testen und in einer dritten Dimension das lokale Empowerment vorantreiben. Diese Dimensionen kommen nicht nacheinander, sondern parallel und iterativ.

Der SSREI berücksichtigt neben ökologischen und ökonomischen Faktoren auch diverse gesellschaftlich-soziale Aspekte. Findet dieses Thema ihres Erachtens ausreichend Berücksichtigung?

Will man beim SSREI Punkte holen, so müssen beispielsweise bei Arealen ein Gemeinschaftsraum und bei normalen MFH Gemeinschaftsstrukturen im Quartier vorhanden sein. Verlangt wird daher nicht explizit ein Placemaking, dazu braucht es eben die entsprechenden gemeinschaftsbildenden Prozesse. Räumliche Gegebenheiten allein schaffen noch nicht zwingend eine nachbarschaftliche Interaktion – bedürfnisgerecht konzipierte Gemeinschaftsräume können jedoch eine wertvolle Infrastruktur dafür darstellen.

Herzlichen Dank, Herr Leder, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

 

Dieses Interview wurde von Dr. Joëlle Zimmerli geführt. Joëlle Zimmerli ist Geschäftsführerin von Zimraum und Mitglied im SSREI-Prüfgremium.

 

Hierzu kürzlich erschienen:

Gemeinschaftlich genutzte Räume im Wohnungsbau: Impulse für gewinnorientierte Bauträger

Ziel dieser Studie ist es, geeignete Voraussetzungen zu ermitteln, damit im Mietwohnungsbau des privatwirtschaftlichen und gewinnorientierten Immobiliensektors vermehrt gemeinschaftlich genutzte Räume entstehen können. In Fallstudien und mit einem Expertenpanel wurde untersucht, welche Nachfrage nach gemeinschaftlich genutzten Räumen besteht und wie diese ins Mietangebot integriert und verwaltet werden können. Daraus haben sich verschiedene konkrete Handlungsoptionen ergeben. (Herausgeber: Bundesamt für Wohnungswesen BWO)

Hier geht’s zur Zusammenfassung der Studie

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