Marloes Fischer, Gründerin und CEO bei Circular Hub, einem Beratungsunternehmen im Bereich Immobilien und Kreislaufwirtschaft, im Gespräch mit SSREI.
Interview mit Marloes Fischer:
Gründerin und CEO, Circular Hub GmbH
Wer sind Sie?
Ich habe Kommunikationswissenschaften und Japanologie studiert. Als langjährige Führungskraft und Beraterin im Bereich Lean Operations möchte ich Wege aufzeigen, die zur Verbesserung sozialer, ökologischer und ökonomischer Faktoren für Mensch, Umwelt und Wirtschaft führen. Zirkularität ist für mich der logische nächste Schritt, mit dem sich Unternehmen und eine Gesellschaft zukunftssicher aufstellen.
1998 wurde in der Schweiz der Gebäudestandard Minergie lanciert, der auf die Minimierung der Betriebsenergie von Gebäuden fokussiert. 2006 wurde dieser um den Zusatz «ECO» erweitert, womit nun unter anderem auch die graue Energie und Kreislaufwirtschaft berücksichtigt wird. Mit der Energiestrategie 2050 steht wiederum die Betriebsenergie (Scope 1) im Zentrum. Bewegen wir uns im Rückschritt?
Effektiv wurde das Thema der grauen Energie von Minergie-ECO bereits in den frühen 2000er-Jahren aufgenommen. Mit der Energiestrategie 2050 wurde es dann wieder in den Hintergrund gerückt. Diese definiert einen Absenkpfad in Richtung Netto-Null, aber nur im Betrieb. Und das ist sehr sinnvoll, da 55% der Energie im Betrieb benötigt wird. Die anderen 45% sollten aber auch berücksichtigt werden, und darauf liegt bei Minergie-ECO der Fokus. Es war der erste Ansatz, der bei der Planung und Realisierung von Gebäuden darauf achtet, dass sie gesund, kreislauffähig und ökologisch gestaltet werden. Beide Aspekte sind gleichermassen relevant. Die Erstellungsenergie braucht aber jetzt vermehrt Aufmerksamkeit. Hier wurde mit dem kürzlich vom Parlament verabschiedeten Energiegesetz ein Schritt nach vorne gemacht. Die Kantone sollen nun – vorbehaltlich des möglicherweise ergriffenen Referendums – Grenzwerte hinsichtlich der Erstellungsenergie bestimmen.
Das eine ist die Energie, aber wie steht es um den Materialverbrauch, wo liegt hier die Zielsetzung bei der Kreislaufwirtschaft?
Wir haben ein enormes Ressourcenproblem auf der Materialseite, denn Rohstoffe sind endlich. Wir müssen sowohl für die Ressourcen Energie und Material als auch Wasser und Biodiversität einen schonenden Umgang finden. Und wenn wir weniger verbrauchen, dann senkt das wiederum die Emissionen im Scope 3.
Diese beiden Aspekte sind in weiterer Hinsicht miteinander verzahnt. Wir meinen, mit der Nutzung der Sonnenenergie das Perpetuum Mobile erfunden zu haben, aber Photovoltaik-Anlagen oder Elektroauto-Batterien benötigen Material, und zwar viel seltenes – und eben endliches Material.
Das bedeutet im Klartext, dass das Energieproblem schon wegen der Materialknappheit nicht gelöst ist?
Wir dürfen den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müssen die Herausforderungen nüchtern analysieren und gezielt angehen. Es gilt, den Rohstoffverbrauch drastisch zu reduzieren – mittels effizienterer Technologien und Design-for-Disassembly, um den Primärverbrauch zu reduzieren, sowie mittels Re-Use und Recycling.
Gelingt uns dieses Vorhaben, dann haben wir das Perpetuum Mobile nun doch erreicht?
Nichts im Leben ist perfekt, aber ohne die unerbittliche Ressourcenschonung und die konsequente Umsetzung von Zirkularität in der Wirtschaft werden wir unsere Krise nicht überwinden.
Gesetze sind das eine, doch stehen wirklich Lösungen parat, um diese umzusetzen? Letztlich bedeutet dies ein Umbau der Wirtschaft – in Ihrem spezifischen Fall – der Bauwirtschaft.
Die Baubranche erzeugt als sehr grosse Materialverbraucherin am meisten Abfall in der Schweiz. Gleichzeitig steht die Schweizer Bauwirtschaft im internationalen Vergleich im Sinne von Hochwertigkeit und Nachhaltigkeit gut da.
Trotzdem braucht es für die Transformation im Bauwesen Unterstützung, weshalb wir den Verein C33 gegründet haben. Er hat sich zum Ziel gesetzt, es dem Bauwesen zu ermöglichen, ressourcenschonend und kreislauffähig zu werden. Wesentlich ist, die Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette – vom Investor und Bauherr bis zu Planern, Erstellern und Bewirtschafter – zusammenzubringen und sie bei der Umsetzung zu begleiten. Denn erst in der Realisierung von Zirkularität entsteht wichtiges Wissen und die nötige Fachexpertise, um zu skalieren. Durch die Koordination und das Zugänglichmachen dieser wichtigen Erfahrungen und des Wissens, kann die Branche beschleunigt in die Umsetzung gehen.
Ein wesentlicher Aspekt ist die Rückbaufähigkeit und Trennbarkeit der eingesetzten Materialien, damit diese mittels Wiederverwendung in den Kreislauf zurück- oder dem Recycling zugeführt werden können. Wie soll das gehen in Anbetracht des Umstandes, dass man spätestens seit den 70er-Jahren vermehrt Verbundmaterialien eingesetzt hat, die sich kaum mehr trennen lassen?
Auch hier muss man pragmatisch vorgehen. Die Mehrheit des Materialeinsatzes in einem Gebäude geht in den Rohbau und die Gebäudehülle. Dazu kommt, dass in diesen zwei Gebäudeschichten, neben dem grössten Volumen, auch die CO2-intensivsten Materialien eingesetzt werden. Grundsätzlich gibt es hier also einen grossen Hebel CO2 zu reduzieren. Recyclingbeton sollte Standard sein. Der Einsatz von innovativen Lösungen wie in Hybridbauten oder die Verwendung des richtigen Materials am richtigen Ort sind notwendig, um den Materialeinsatz und CO2 zu reduzieren. Eine noch zentralere Frage stellt sich allerdings eine Stufe vorher, nämlich beim Entscheid über Sanierung oder Ersatzneubau. Der Bestandserhalt ist notwendig. Dazu sollte auch in der Planung und Realisierung weniger Material zum Einsatz kommen, das richtige Material wie z.B. erneuerbare Materialien und Baustoffe ausgewählt sowie die Demontierbarkeit berücksichtigt werden.
Die Immobilienwirtschaft hält dem entgegen, dass Wohnraum geschaffen werden muss und die nötige Kapazität oft nur durch Ersatzneubau erreicht werden kann.
Diese Behauptung mag in gewissen Fällen angebracht sein, doch mit Verdichtung bestehender Gebäude oder besserer Nutzungsdichte, haben wir alternative Lösungsansätze zur Hand. Die Umsetzung ist komplex, aber wir haben noch nie ein Problem gelöst, in dem wir die Herausforderung anerkennen, aber nichts dagegen tun. Reagiert die Wirtschaft nicht, so wird es irgendeinmal der Gesetzgeber tun.
Die von Ihnen mitgegründete Plattform C33 (Circular Construction Catalyst 33) nimmt nicht nur den Hochbau, sondern auch den Tiefbau ins Visier. Es kommt nächstens die Vorlage des Bundesrates vors Stimmvolk, wonach für den Ausbau der Nationalstrassen CHF 5.3 Mrd. ausgegeben werden sollen. Das ist ein Votum für den Ausbau der Mobilität. Was bedeutet dies aus Materialsicht?
Die Kreislaufwirtschaft steht beim Tiefbau noch nicht stark im Fokus, obwohl auch dort hohe Materialvolumen eingesetzt werden und noch sehr viel zu tun ist. Recyceltes Baumaterial kommt meistens dort zum Einsatz, wo wirtschaftlich gearbeitet wird. Aber Zirkularität wird meistens noch nicht «bestellt». Ob Erweiterung oder Sanierung der Strasse, Arbeit an und Unterhalt der Infrastruktur ist immer notwendig. Dass die Mobilität und ihre Infrastruktur umweltschonender gestalten werden sollte, ist auch keine News mehr. Vielmehr müssen wir mit Zirkularität im Fokus fragen: Wie kann die Materialmenge reduziert werden? Wie können wir so lokal wie möglich beschaffen? Wie muss die Umgebung der Strassen gestalten werden, damit der Impact auf das Umfeld reduziert oder besser noch positiv beeinflusst werden kann? Und diese Fragen sollten meines Erachtens öfters gestellt werden.
Kommen wir also ohne Struktur- und Verhaltensänderungen nicht aus der Krise heraus?
Ich schätze ja. Wenn wir unser Verhalten nicht ändern und nicht jeder einen Beitrag leistet, diese grosse Transformation mitzugestalten, wird es schwierig sein, die Krise zu bewältigen. Wenn wir die Kosten nicht transparent machen, die unser heutiges Verhalten verursacht, und wenn wir nicht klar erklären, welche Mehrwerte die nötigen Änderungen bringen, wird sich das Verhalten wahrscheinlich nicht ändern. Deswegen ist es notwendig, das grosse Firmen, Politiker, Führungskräfte und sonstige Vorreiter offen kommunizieren, Rücksicht nehmen auf die Konsequenzen ihrer Entscheidungen und über ihre Erfahrungen und Learnings sprechen. Ich bin aber zuversichtlich, dass wir gemeinsam die vor uns liegenden Herausforderungen lösen werden.