Interview mit Dr. Uwe Forgber

Dr. Uwe Forgber, Architekt, Informatiker und CEO bei Realcube, beleuchtet im Gespräch mit SSREI die regulatorischen Entwicklungen in der EU im Hinblick auf die Nachhaltigkeit im Immobiliensektor.
Interview mit Dr. Uwe Forgber
CEO Realcube GmbH
Wer sind Sie?

Ich bin promovierter Architekt und Informatiker und habe an den Universitäten in Konstanz, Kalifornien und Karlsruhe studiert. Bereits in den 90er Jahren begann ich, mein fachliches Know-how mit den Möglichkeiten der IT zu verknüpfen. Im Laufe meiner unternehmerischen Karriere habe ich umfangreiche Erfahrungen in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI), Building Information Modeling (BIM) und integrale Planung gesammelt und diese erfolgreich in die Praxis umgesetzt. Nach meiner Tätigkeit bei der conject AG im Bereich Planen und Bauen konzentriere ich mich nun als Gründer und CEO von Realcube auf die aktuellen Herausforderungen von Immobilien-Eigentümern und Asset Managern, um einen kosteneffizienten und digitalen Gebäudebetrieb zu ermöglichen.

Wir möchten mit diesem Interview mehr Klarheit über die regulatorische Entwicklung in der EU im Hinblick auf Nachhaltigkeit sowie die Instrumente zur Umsetzung in der Immobilienbranche schaffen. Könnten Sie uns zu Beginn einen kurzen Überblick über die regulatorischen Vorgaben der EU geben?

Die EU hat auf verschiedenen Ebenen regulatorische Vorgaben definiert, die bereits 2021 und 2022 in Kraft traten. Den Rahmen bildet der «EU Green Deal», der darauf abzielt, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Er umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen und Technologien, die alle Sektoren der Wirtschaft betreffen, einschließlich der Immobilienbranche, und die nachhaltige Entwicklung fördern. Auf diesem Überbau basiert die «EU-Taxonomie», die ein Klassifizierungssystem für die Nachhaltigkeit wirtschaftlicher Aktivitäten beinhaltet.

Diese Taxonomie bildet die Grundlage für die «Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR)», die speziell für die Finanzindustrie, einschließlich Immobilienfonds, entwickelt wurde. Sie regelt die Offenlegung der Nachhaltigkeitsaspekte und soll Transparenz über die Nachhaltigkeitsrisiken von Finanzprodukten schaffen. Finanzmarktteilnehmer und öffentliche Unternehmen müssen offenlegen, wie sie Umwelt-, Sozial- und Governance (ESG)-Aspekte in ihre Investitionsentscheidungen integrieren. Die Vorgaben der SFDR werden schließlich in nationale Vorschriften und Gesetze überführt.

Wie unterscheidet sich die EU-Regulierung von den Schweizer Regulatorien?

In der Schweiz setzte man bisher auf Selbstregulierung, wobei Verbände, insbesondere die AMAS (Asset Management Association Switzerland), eine führende Rolle übernehmen. Mit der «Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange», die am 1. Januar 2024 in Kraft getreten ist, hat nun auch der Regulator Einfluss genommen. Die Vorgaben sind allgemein pragmatischer und einfacher formuliert, allerdings beschränkt sich der Inhalt auf das Thema Klima.

Die EU verfolgt hingegen einen systematischen und integrierten Ansatz zur Regulierung von Nachhaltigkeit, der die Bereiche ESG (Environment, Social, Governance) umfasst. Vorerst gibt es jedoch lediglich spezifische Kriterien für den ökologischen Bereich, wobei klare Vorschriften und Richtlinien darauf abzielen, den gesamten Finanzsektor sowie verschiedene Industrien zu stärken, um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die Schweiz bevorzugt Flexibilität und Handlungsspielraum gegenüber Präzision und – leider halt auch – Schwerfälligkeit. So hat das EU-Regelwerk einen Umfang angenommen, der nur noch für Experten verdaubar ist.

Inwiefern ist die EU-Regulierung für Schweizer Immobilienfonds relevant?

Derzeit sind die EU-Vorgaben insbesondere für Fonds relevant, die Investoren aus dem EU-Raum anziehen möchten. Diese Fonds orientieren sich an den EU-Vorschriften und verfolgen eine einheitliche Strategie für ihre Investments. Mittelfristig jedoch dürften die Vorschriften in der Schweiz und der EU inhaltlich harmonisiert werden. Wer also die Bewertung seiner Immobilienportfolios umfassend angeht, leistet Vorarbeit und sichert sich einen klaren Wettbewerbsvorteil.

Faktisch haben viele Schweizer Immobilienfonds und -AGs, die an GRESB (Global Real Estate Sustainability Benchmark) teilnehmen, bereits eine ESG-Ausrichtung, nicht zuletzt, weil die Anleger entsprechende Anforderungen stellen. Die Regulierung hinkt also der Praxis hinterher.

Bis wann werden in der EU konkrete Vorgaben betreffend die S- und G-Kriterien vorliegen?

Die Weiterentwicklung der EU-Taxonomie um die sozialen (S) und Governance (G) Aspekte wird voraussichtlich in den kommenden Jahren stattfinden. Es ist ratsam, die aktuellen Updates der EU bezüglich dieser Regulierungen im Auge zu behalten, um rechtzeitig handeln zu können.

Was bedeuten die Regulatorien konkret für Immobilienfonds?

Die Kriterien der EU-Taxonomie erfordern von Immobilienfonds eine umfassende Neubewertung ihrer Strategien und Praktiken. Es ist entscheidend, dass Fonds ihre Immobilienbestände hinsichtlich Nachhaltigkeit analysieren und ihre Investitionsstrategien anpassen, um die regulatorischen Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig ihr Geschäftswachstum sowie ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Durch eine aktive und strategische Auseinandersetzung mit diesen Kriterien können Immobilienfonds nicht nur die Compliance gewährleisten, sondern auch langfristigen Wert schaffen und das Vertrauen der Investoren stärken.

Ist dies eher eine Bürde oder eine Chance?

Wie bereits erwähnt, bevorzugen weitsichtige Anleger nachhaltige Investitionen und betrachten Nachhaltigkeit als Teil ihres Risikomanagements. Fonds, welche die Kriterien der EU-Taxonomie erfüllen und transparent über ihre nachhaltigen Praktiken berichten, werden für Investoren immer attraktiver. Zudem haben Fonds, die sich an Nachhaltigkeitsstandards orientieren, besseren Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten und erhalten bevorzugte Konditionen bei Krediten, da immer mehr Banken und Finanzinstitute nachhaltigen Kriterien Priorität einräumen.

Die EU-Taxonomie und die SFDR sind sehr umfassend; sind diese überhaupt noch umsetzbar?

Die Umsetzung der EU-Taxonomie und der SFDR stellt ohne einheitliche Datenstandards und geeignete Asset Management-Plattformen tatsächlich eine Herausforderung dar. Weder mit der EU-Taxonomie noch mit der SFDR ist es möglich, ein Gebäude oder einen Fonds zu bewerten. Umsetzungsinstrumente sind daher dringend erforderlich.

Um eine einheitliche Interpretation der Vorgaben sicherzustellen, ist es wichtig, verbindliche Standards durch anerkannte Institutionen zu schaffen. In Deutschland sind solche Bestrebungen bereits im Gange. So bin ich mit der Realcube Initiator der DIN SPEC 91475 ESG – Datenpunkte für die ökologische Analyse von Immobilien, welche zusammen mit dem Fraunhofer Institut, pom+, der List Gruppe, Madaster und weiteren fünf Partnern entwickelt wurde (ähnlich den Bemühungen des SSREI für die Umsetzung der SIA 112/1-Norm «Nachhaltiges Bauen – Hochbau» und REIDA für die Umsetzung der AMAS-Vorschriften). Diese Standards wurden bereits, bzw. werden in der von uns entwickelten Asset Management Plattform «Realcube» abgebildet. Nur eine einheitliche Methodik garantiert vergleichbare Resultate, was im Interesse der gesamten Branche liegt.

Wie geht das zeitlich aus? Einerseits befindet sich der Standard erst in Vorbereitung, andererseits müssen die Fonds bereits jetzt nach den neuen Regeln berichten. Wie kann da Realcube den Markt unterstützen?

Die Asset Management-Plattform Realcube ist seit mehreren Jahren im praktischen Einsatz und erprobt. Bestehende Datenstandards wie der DIN 276, DIN 277, gif, CAFM Connect und DIN 18599 wurde mit der Entwicklung adaptiert. Weitere, neue Normen und Richtlinien werden ebenfalls übernommen, sodass die Plattform kontinuierlich mit dem Markt wächst. Gemeinsam mit dem ZIA (Zentraler Immobilienausschuss e.V.), der GEFMA und weiteren Verbänden und Banken arbeitet Realcube an der technologiebasierten Umsetzung vorgegebener Regulatorik.

Sie haben oben festgestellt, dass die Schweizer Institutionen die Kompatibilität mit der EU-Gesetzgebung im Auge behalten sollten. Somit müssten Umsetzungsinstrumente entwickelt werden, die sowohl die Schweizer als auch die EU-Regulatorien umfassen. Wo steht man da?

Genau dieser Prozess ist im Gange und soll demnächst zum Abschluss kommen. Ziel ist es, die Stammdaten-Logik von SSREI in die Realcube Plattform zu integrieren. Einige IT-Tool-Anbieter setzen dies bereits um, jedoch haben wir mit der Integration und Adaption der DIN SPEC 91475 ESG – Datenpunkte für die ökologische Analyse von Immobilien – ein einzigartiges und konkurrenzloses Instrument zur digitalen Integration der Wertschöpfungskette entwickelt – von der Gebäudeebene bis in die Welt der Regulatorik und Compliance.

Herzlichen Dank, Herr Dr. Forgber, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.

 

Weitere inhaltliche Ausführungen zur EU-Taxonomie sowie zur Kompatibilität mit SSREI finden Sie hier in unseren aktuellen Newsletter-Beitrag.

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