Interview mit Ueli Steiner

Ueli Steiner, Geschäftsführer der bio.Inspecta AG und Carbon Standards International AG, über die Rolle von Gebäuden als Kohlenstoff-Senken, den Einsatz nachhaltiger Baustoffe und die Bedeutung neuer Standards zur Zertifizierung von CO2-Speicherung in Baumaterialien.
Interview mit Ueli Steiner
Geschäftsführer, bio.Inspecta und Carbon Standards International AG
(Tochtergesellschaften der EASY-CERT group AG)
Wer sind Sie?

Ich bin auf einem Landwirtschaftsbetrieb aufgewachsen, habe diesen im Jahr 1991 übernommen und ein Jahr später auf biologische Landwirtschaft umgestellt. Dies war auch der Startpunkt für mein Engagement im Bereich positiver Systeme für Natur und Umwelt. Mein Studium an der Fachhochschule für Landwirtschaft in Zollikofen und meine Weiterbildungen haben mich dazu geführt, mich seit mehr als 30 Jahren in den Bereichen nachhaltige Landwirtschaft und Klima zu engagieren. Mit der Carbon Standards International AG bauen wir zurzeit ein neues Unternehmen auf, welches sich mit nachhaltigen Klimaservices auch im Bereich Gebäude engagiert. Unser «Global Construction C-Sink Standard», ein Standard für die Zertifizierung von verlässlichen Kohlenstoff-Senken in Gebäuden, ist das noch jüngste Kind unserer Global C-Sink Standard-Familie, welcher für die Immobilienbranche sehr interessant werden wird.

Der Betrieb von Immobilien verursacht in der Schweiz mehr als 25% der Treibhausgasemissionen. Dank dem Gebäudeprogramm und der damit verbundenen Gebäudedämmung sowie dem sukzessiven Ersatz der Öl- und Gasbrenner durch nicht-fossile Energieträger ist die Tendenz sinkend. Sie verursachen jedoch stets eine Unmenge an grauer Energie, kommt doch reichlich Baumaterial zum Einsatz – massgeblich Beton und Backstein benötigen für ihre Herstellung eine Menge Energie. Umso erstaunlicher ist es, dass sich Gebäude neuerdings zu nachhaltigen Vorzeigeprodukten entwickeln, hat man nun deren Potenzial als CO2-Senke entdeckt. Was steckt dahinter?

Wie Sie richtig sagen, binden viele der heute üblicherweise verwendeten Baumaterialien sehr viel graue Energie. Sollen Gebäude in ihrer Gesamtenergie- und CO2-Bilanz besser werden, so muss unter anderem auch dort angesetzt werden. Sie müssen ersetzt oder nachhaltiger produziert werden. Immer mehr stehen nachhaltige Produkte auch für die Baubranche zur Verfügung, welche Kohlenstoff binden und damit eine positive Klimabilanz ausweisen. Beim Einsatz solcher Produkte kann das Gebäude denn auch als Kohlenstoff-Senke (C-Senke) zertifiziert werden.

C-Senken sind das Ergebnis einer aktiven Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre, der Umwandlung des entnommenen Kohlenstoffs in eine speicherbare Form und seine nachweisbare Speicherung ausserhalb der Atmosphäre, als Beispiel im Boden oder eben in Baumaterialien.

Welches sind mögliche Ersatzprodukte?

Retour à la nature: Unsere frühen Vorfahren haben ihre Häuser aus Holz, Lehm, Stroh und Stein gebaut. Genau diese Baustoffe erlangen ihre Bedeutung zurück, wobei sich Holzbauten bereits langsam aus ihrem Nischendasein bewegen, währenddem Lehm- und Hanfbauten noch Raritäten sind.

Zement und Stahl werden aber in absehbarer Zeit nicht verdrängt werden, umso mehr, als diese Industrien in der Vergangenheit viele Anstrengungen unternommen haben, um ihr Produkt nachhaltiger zu machen. So setzt die Zementindustrie neben natürlichen Rohstoffen und fossilen Brennstoffen heute Abfälle als Ersatzbrennstoffe und auch als Sekundärrohstoffe ein. Dazu gehört zum Beispiel zertifizierte Pflanzenkohle, welche zunehmend in Beton eingesetzt wird. Bei der Herstellung von Stahl können mit dem Einsatz von Pflanzenkohle wiederum grosse Mengen an fossiler Energie eingespart werden, respektive müssen Braunkohle oder andere fossile Energieträger gar nicht erst gefördert werden.

Sie sind Geschäftsführer von Carbon Standards International (CSI). Was macht CSI und welche Rolle spielt sie in der Bauindustrie?

CSI ist eine Standard-Organisation, welche sich zu Beginn auf Pflanzenkohle als wertvolles Material und Kohlenstoff-Senke (C-Senke) spezialisiert hat. In den letzten drei Jahren sind nun nebst Pflanzenkohle weitere verlässliche Global C-Sink-Standards dazu gekommen, welche bereits weltweit Anwendung finden. Den Standard «Global Construction C-Sink» werden wir in den kommenden Wochen veröffentlichen und in einem Public Review hoffentlich viele Rückmeldungen aus der Baubranche dazu erhalten.

Pflanzenkohle ist ein Produkt, welches in einem Verbrennungs-Prozess, der sogenannten Pyrolyse, aus Biomasse aller Art hergestellt werden kann. Es ist eines der wertvollsten und vielseitigsten Produkte überhaupt und kann in der Landwirtschaft, in industriellen Produkten und auch in Baumaterialien eingesetzt werden. Pflanzenkohle ist immer eine C-Senke, welche bei der Anwendung in Baumaterialien den Fussabdruck des Materials reduziert oder das Material selbst zur C-Senke werden lässt. In Europa ist die Pflanzenkohle in der Regel gemäss unserem European Biochar Certificate (EBC) Standard hergestellt, damit auch die Qualität des Produktes über jeden Zweifel erhaben ist.

Wie viel Verbreitung hat Pflanzenkohle bereits gefunden?

In der Bauindustrie stecken wir noch in den Anfängen und der «Global Construction C-Sink» Standard wird hier hoffentlich noch weiteren Aufschwung bringen. Hingegen erfreut sich Pflanzenkohle in den anderen Bereichen bereits einer beachtlichen Akzeptanz und Verbreitung. Wir rechnen damit, dass im Jahr 2025 weltweit rund 200’000 Tonnen Pflanzenkohle gemäss unseren Standards produziert werden. Mit den damit rund 500’000 Tonnen gespeicherten CO2-Äquivalenten nähern wir uns einem ersten Teilziel, welches wir uns als Klimaziel gesteckt haben.

Es scheint fast, als hätte man mit der Pflanzenkohle das neue Perpetuum mobile entdeckt.

Tatsächlich entsteht sie aus Biomasse und entgeht damit dem Damoklesschwert der Endlichkeit an Ressourcen. Der Engpass besteht im Moment noch in der zu wenig breiten Anwendung in Landwirtschaft und Industrie und dadurch auch in der Verfügbarkeit und im hohen Preis. Wird die Industrie mit grossen Mengen einsteigen, dann reichen die hergestellten Mengen teilweise noch nicht aus, um den Bedarf zu decken. Gleichzeitig macht der Preis der Pflanzenkohle die Produkte in der Regel teurer, was am Markt wiederum zu erklären ist.

Mit und ohne Pflanzenkohle hat die Baubranche ein riesiges Potential, um mit dem Einsatz von Biomasse-basierten Baustoffen in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels zu leisten. Wissenschaftliche Studien belegen, dass in den nächsten 20 Jahren allein in Baustoffen mehr als 400 Gigatonnen CO2-Äquivalente als C-Senken gebunden werden könnten.

Ein anderer nachhaltiger Baustoff ist Holz. Wälder sind die grössten CO2-Senken. Rodet man die Wälder, um Holz als Baustoff zu gewinnen, so baut man zwar klimaneutral, aber das Volumen an CO2-Senken nimmt ab – und zwar dramatisch in Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung und dem damit verbundenen immensen Bedarf an Wohnraum. Ist Holz wirklich ein nachhaltiger Baustoff?

Nachhaltig ist der Holzbau nur in Kombination mit einer auf Wiederaufforstung und Naturverjüngung ausgelegten Waldwirtschaft, idealerweise mit lokalem Holz. Aber der Vorteil von Holz ist eben, dass es nachwächst und daher keine endliche Ressource ist.

In Europa und in der Schweiz ist das nachhaltige Wald-Management gesetzlich vorgeschrieben. Es darf nur so viel Holz geschlagen werden, wie jedes Jahr wieder nachwächst.

Aber vermag es den Bedarf nur annähernd zu decken? Abgeholzt ist schnell, aber bis ein Baum ausgewachsen ist, dauert es Jahrzehnte.

Der Klimawandel ist auch für die Wälder in unseren Breitengraden eine Herausforderung. So zeigt das jüngst veröffentlichte deutsche Bundeswald-Inventar 2022, dass insbesondere die Folgen der grossen Dürre 2018–2021 das Waldgefüge gestört und die Dynamik des Waldumbaus verstärkt haben. Die Fläche der Laubbäume hat im Vergleich zu ihrer Fläche 2012 um 7% zugenommen. Dies ist vor allem auf den aktiven Waldumbau für eine bessere Klimaanpassung der Wälder zurückzuführen. Der Bestand an Fichten hat in dieser Zeit darauf basierend wesentlich abgenommen. Der Holzzuwachs im deutschen Wald beträgt aktuell immer noch rund 9,4 Kubikmeter je Hektar und Jahr oder 101,5 Mio. Kubikmeter pro Jahr.

Es geht meines Erachtens darum, den wertvollen Rohstoff Holz richtig zu verwenden und dort einzusetzen, wo es Sinn ergibt. Auch wenn die Rohstoffquelle Wald in unseren Breitengraden bereits vom Klimawandel gezeichnet ist, muss sie konsequent bewirtschaftet und gemäss ihrer Verfügbarkeit möglichst breit eingesetzt werden.

Können Sie abschliessend noch etwas zu den Treibern von nachwachsenden Baustoffen sagen?

Es gibt die parlamentarische Initiative 20.433 «Schweizer Kreislaufwirtschaft stärken», welche die eidgenössischen Räte am 15. März 2024 verabschiedet und deren Umsetzung der Bundesrat beschlossen hat. Diesen Vorgaben entsprechend werden nun die MuKEn (Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich), welche die Basis für die kantonalen Energiegesetze bilden, überarbeitet. Die Kantone werden somit zukünftig dazu verpflichtet, Grenzwerte für den Verbrauch grauer Energien zu erlassen.
Minergie hat in der Version 2023 bereits Grenzwerte für Treibhausgasemissionen bei der Erstellung definiert. Gesetzgebung, Standards und technische Lösungen ziehen also gemeinsam in dieselbe Richtung!

Herzlichen Dank, Herr Steiner, für Ihre Zeit und das interessante Gespräch.
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