Interview mit Frau Prof. Eva Heinen

ETH-Professorin Eva Heinen im Gespräch mit SSREI über Fragen der Mobilität und aktuelle verkehrstechnische Entwicklungen.
Interview mit Eva Heinen:
Professorin für Verkehrs- und Mobilitätsplanung an der ETH Zürich
Wer sind Sie?

Seit Sommer 2024 bin ich Professorin für Verkehrs- und Mobilitätsplanung am IVT der ETH. Zuvor war ich als Professorin an der TU Dortmund sowie der University of Leeds und davor an anderen Universitäten tätig, darunter die University of Cambridge und die Technische Universität Delft. Ich habe an der TU Delft im Bereich Verkehr promoviert und an der Universität Amsterdam einen Master in Stadt- und Regionalplanung erworben. Im Laufe meiner Karriere war ich an vielen Projekten beteiligt, wobei mein besonderer Schwerpunkt beim Velo, dem Fussverkehr und der Mikromobilität lag. Meine Kernkompetenz liegt in der Veränderung des Reiseverhaltens.

In der Schweiz gilt der Verkehr als grösster Verursacher von Treibhausgasemissionen. Dabei kann das Individuum diesen direkt beeinflussen – schliesslich stehen uns mit dem ÖV, Fahrrad, E-Bike, Auto, Taxi, E-Scootern oder zu Fuss, verschiedenste Möglichkeiten zur Fortbewegung zur Verfügung. Welches ist Ihr präferiertes Verkehrsmittel respektive welches nutzen Sie am meisten?

Im Moment benutze ich am häufigsten öffentliche Verkehrsmittel in Kombination mit häufigen Spaziergängen. In der Schweiz ist das relativ gut organisiert, so dass ich mit diesen beiden Verkehrsmitteln fast überall hinkomme. Wie viele meiner Altersgenossen bin ich jedoch sehr multimodal, d. h. ich benutze eine Vielzahl von Verkehrsmitteln.

Auch wenn sich das Auto unverminderter Beliebtheit erfreut, hat das Schweizer Stimmvolk die Vorlage des Bundesrates zum Ausbau der Nationalstrassen Ende November abgelehnt. Welches waren aus Ihrer Sicht die wesentlichen Treiber dieses Entscheids? Dichtestress oder doch die Nachhaltigkeit?

Das ist eine gute Frage. Ich glaube nicht, dass man es mit einem Argument erklären kann; es ist wahrscheinlich eine Kombination von verschiedenen Faktoren. Eine Person hatte vielleicht den einen Grund, mit Nein zu stimmen, die nächste Person hatte vielleicht einen anderen, und die dritte Person hat ihre Stimme vielleicht auf eine Kombination von Gründen gestützt. Ich denke, die beiden Gründe, die Sie genannt haben, haben dazu beigetragen, aber ich bin sicher, dass es noch viele andere Gründe gibt, warum die Menschen gegen den Vorschlag gestimmt haben (Hier geht’s zur VOX-Analyse der Abstimmung).

Die Ausbauziele standen im Konflikt mit dem neuen Klimaschutzgesetz, das harte Vorgaben an die CO2-Reduktion macht. Der Bundesrat hingegen, rechtfertigte diese mit umweltfreundlicheren Elektroautos. Gemäss der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA) erfordert ein E-Fahrzeug jedoch rund sechsmal so viel mineralische Rohstoffe wie ein Verbrennungsmotor. Wird dieses dann zudem nicht mit PV-Strom betrieben, so scheint dessen Beitrag zu einer nachhaltigeren Welt zu einer reinen Fantasie zu verkommen.  Schwarzmalerei oder pure Realität?

Ich kenne nicht alle Details dieser Studie, daher kann ich mich dazu nicht äußern. Aber im Allgemeinen herrscht oft der feste Glaube vor, dass Probleme durch technologische Innovationen gelöst werden können. Dies gilt auch für Herausforderungen wie den Klimawandel. Allerdings haben wir noch nicht die erhofften Reduzierungen gesehen und müssen uns nach alternativen Ansätzen umsehen. Der Ansatz «Vermeiden, Verlagern, Verbessern» wird zunehmend als der notwendige Ansatz anerkannt. Konkret bedeutet dies, dass wir zunächst versuchen sollten, die Nachfrage zu reduzieren, dann die Nachfrage auf nachhaltigere Verkehrsmittel zu verlagern, bevor wir uns auf die Verbesserung der aktuellen Formen konzentrieren.

Das Problem bei Elektroautos ist, dass sich die Diskussionen oft nur auf die Auspuffemissionen konzentrieren und nicht auf die Emissionen während des gesamten Lebenszyklus. Darüber hinaus sind die Energiequellen für alles Elektronische sehr wichtig für die Bestimmung der Emissionen (Auspuff oder LCA). Die Vorteile der E-Mobilität hängen daher unter anderem effektiv davon ab, wie der Strom erzeugt wird. Es gibt grosse Unterschiede zwischen Regionen und Ländern.

Die Sprache, die der Mensch am besten versteht, ist die des Geldes. Grossstädte wie Paris oder London konnten den Verkehr mit Mobility-Pricing erheblich entschärfen. Weshalb wendet man diese Methoden nicht auch in der Schweiz an?

Dies ist eine politische Entscheidung. Diese Frage sollte besser woanders gestellt werden.

Was ich sagen kann, ist, dass die Preisgestaltung oft eine sehr wirksame Massnahme ist, um die Mobilität zu beeinflussen. Neben den erwähnten Städten haben auch Stockholm und viele norwegische Städte sie eingeführt. Aber das geht nicht immer ohne Widerstand, wie man an den aktuellen Ereignissen in New York sehen kann. In vielen Fällen gibt es eine Gruppe, die durch die Massnahme stärker benachteiligt wird als andere Gruppen. Es muss sorgfältig abgewogen werden, ob dies angemessen (und für diese Gruppe tragbar) ist.

Für lange Strecken verwendet man am besten den Zug. Nun soll das Ausbauprogramm der SBB mit seinen 16,4 Milliarden Franken fast doppelt so hoch ausfallen wie budgetiert. Zudem stellt das Vorhaben die Bahn in der kleinräumigen, dicht besiedelten Schweiz aus Sicht der Lärmbelastung auch vor Herausforderungen. Stossen wir auch hier an die Grenzen der Wachstumsmöglichkeiten?

Die endgültigen Kosten für den Bau grosser Infrastrukturen sind nicht immer leicht vorherzusagen. Natürlich werden die Dinge durch die Verschiebung solcher Investitionen selten billiger, da Löhne und Materialien mit der Zeit tendenziell teurer werden. Letztendlich ist die Entscheidung, wo Geld investiert wird, eine politische. Der zukünftige Erfolg eines Systems, das heute gut funktioniert, hängt von der Wartung ab. Wir müssen nicht weit ins Ausland schauen, um zu sehen, was passiert, wenn Investitionen zu lange aufgeschoben respektive verzögert werden. Was Ihren zweiten Punkt betrifft, so ist es natürlich wichtig, die Alternativen zu berücksichtigen. Der Schienenverkehr verursacht zwar Lärmemissionen, aber auch andere Verkehrsträger tun dies. Man denke an Strassen und Flughäfen.

Der Ausbau des Schienennetzes sollte vor allem Entlastung in den Stosszeiten bringen. Der Pendelverkehr ist ein wichtiger Treiber und das Home Office daher ein wesentlicher Beitrag zur Problemlösung. Einige Firmen handhaben dies wieder restriktiver und holen das Personal vermehrt an ihre Arbeitsplätze zurück. Was bedeutet das für das Verkehrsaufkommen?

Obwohl der öffentliche Verkehr während der Hauptverkehrszeit am stärksten ausgelastet ist, ist ein grosser Teil unserer Fahrten nicht beruflich bedingt. Wenn wir uns die durchschnittliche Gesamtfahrzeit pro Person in der Schweiz (ca. 80 Minuten) ansehen, werden weniger als 25 %, d.h. 16 Minuten, für den Arbeitsweg aufgewendet. Der Grossteil wird für die «Freizeit» genutzt. Die Anzahl der Fahrten für den Arbeitsweg liegt ebenfalls bei etwas über 20%. Das Problem besteht darin, dass das Pendeln zeitlich sehr konzentriert ist. Um diese Spitzen zu reduzieren, könnte ein liberaleres Konzept für die Anfangs- und Endzeiten eine gewisse Entlastung bringen. International ist jedoch zu beobachten, dass sich die verkehrsreichsten Zeiten für den öffentlichen Verkehr verlagert haben oder sich nun auf einige wenige Tage konzentrieren. In Washington scheint die Hauptverkehrszeit jetzt samstags zu sein, während sich in vielen europäischen Ländern, in denen das Arbeiten von zu Hause aus üblicher ist, das Pendeln auf dienstags und donnerstags konzentriert. Es reicht also möglicherweise nicht aus, nur auf das Arbeiten von zu Hause zu setzen. 

Herzlichen Dank, Frau Heinen für Ihre Zeit und das interessante Gespräch
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